Eine kurze Geschichte von tanzenden Lichtern in eisigen Welten

© Daniel Spohn

Bis zu den Knien sind wir im Schnee versunken. Unsere Füße haben wir schon lange nicht mehr gespürt. Mit offenen Mündern starren wir in den Himmel und können nicht wirklich verstehen, was wir hier präsentiert bekommen. Die Lichter tanzen in ihrem eigenen choreographierten Rhythmus über uns und entlang der Bergsilhouette, quer über die meterdicken Eisschollen im teils zugefrorenen Fjord. Mit jeder Minute wird die Farbexplosion intensiver, bis die prachtvollen Lichter krakenartig auf uns niederfallen. Wir werden immer stiller.

Text: Stefanie Huber; Fotos: Daniel Spohn

© Daniel Spohn
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Erschöpft machen wir uns auf den Weg zurück in unser Apartment. Stundenlang sind wir auf den schneebedeckten Hügeln und in den eisigen Tälern jenseits des Polarkreises den Spuren der sympathischen Rentiere gefolgt. Die Nacht ist längst über uns hereingebrochen und beinahe hätten wir nichts bemerkt. Doch ein Blick dorthin, wo das nahe Bergmassiv den schwarzen Nachthimmel trifft, macht uns stutzig. Schleichend und träge kommt ein fahl weißer, durchsichtig anmutender Bogen über die Bergkuppen gekrochen. Fast so wie ein kurz vor dem Ziel erschöpfter Kletterer, der sich mit letzter Kraft auf den Gipfel hievt. Der Bogen steigt zögerlich höher, beginnt intensiver grünlich zu leuchten und kommt immer näher auf uns zu, bis er vollkommen unerwartet seine Form verändert und in pulsierenden und flimmernden Spiralen über uns hinweg wirbelt. Einige Formen sind plötzlich ineinander verschlungen, manche verblassen, neue Formen bilden sich. Die Wandlungen wirken, als wären sie von einer unsichtbaren Hand angetrieben. Ein fröhliches Spiel hunderte Kilometer über unseren Köpfen, das uns zu seinem Finale nicht nur eine grün-lila leuchtende Farbexplosion am Himmel, sondern auch noch dessen Spiegelung im Wasser vor unseren Füßen, schenkt. Wow, was für ein Anblick!

© Daniel Spohn
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Unvergesslich, wie sich parallel mit der Aurora am sternenverhangenen Himmel in uns eine Woge von Unfassbarkeit und Glück ausbreitete. Und auch eine gehörige Portion Pathos war dabei. An diesem Abend haben wir gefühlt tausend Mal in das unendliche Universum geschaut und einen Blick in unsere Vergangenheit und Zukunft erhascht. Wir haben sie gesehen. Die kosmische Energie, die uns erschaffen hat und die Energie, die uns vielleicht irgendwann wieder zurückschicken wird, in unsere Kolonie aus Sternenstaub. Ein Naturphänomen voll perfekter Schönheit, die ein wuchtiges und erhabenes Ende verspricht…

Aber zurück in die nüchterne Realität: Magnetfeld sei Dank, können wir hier – zwar tief eingesunken, aber dennoch fest auf unseren Füßen stehend – dieses einzigartige und wundersame Schauspiel der Aurora Borealis bewundern, wie schon so viele Leben vor uns. Die wissenschaftliche Bezeichnung Aurora Borealis heißt übersetzt „nördliche Morgendämmerung“ und war bereits in der antiken Mythologie berüchtigt als das übersinnliche Leuchten des Sonnengottes Apollon. Wenn dieser dem griechischen Winter den Rücken kehrte, um in die Nähe der vermeintlich wärmenden Sonnenaktivität zu ziehen, verwandelte sich sein Licht weit im kalten Norden in ein farbendurchflutetes warmes Leuchten, so die Legende. Eine der ältesten Überlieferungen stammt allerdings aus China, circa 2600 vor Christus, die die Nordlichter mit sich ankündigender Schwangerschaft oder Geburt verbindet.  

Zu Zeiten des großen Naturforschers Humboldt bezeichnete man die magischen Lichter, die man damals auch hin und wieder in Deutschland beobachten konnte, als „Lichtmeteor.“ Humboldt selbst sprach von einem „magnetischen Ungewitter“, dessen Erscheinen er folgendermaßen treffend beschrieb:

„Tief am Horizont [. . .] schwärzt sich der vorher heitere Himmel. Es bildet sich wie eine dicke Nebelwand, die allmählig steigt. Der Lichtbogen [. . .] bleibt stehen [. . .], ehe Strahlen und Strahlenbündel aus demselben hervorschießen und bis zum Zenith hinaufsteigen. Die magnetischen Feuersäulen steigen bald aus dem Lichtbogen allein hervor [. . .] und vereinigen sich in ein zuckendes Flammenmeer, dessen Pracht keine Schilderung erreichen kann.“

(Aus: Meyer’s Volksbibliothek für Länder-, Völker- und Naturkunde: Das Nordlicht. Bd. 11, Hildburghausen, New York 1853, S. 93ff.)

In der Mitte des 18. Jahrhunderts konnten Olof Hiorter und Anders Celsius in Uppsala erstmals beobachten, dass das Auftreten eines Nordlichts zu den Bewegungen einer Magnetnadel synchron ablief. Seither war der Zusammenhang zwischen Erdmagnetismus und Nordlicht bekannt, auch wenn man sich den wissenschaftlichen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Polarlichtern und dem magnetischen Feld der Erde noch nicht exakt erklären konnte. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelang es dem späteren Nobelpreisträger Kristian Birkeland das Zusammenspiel von Sonnenwind und Erdmagnetfeld empirisch zu durchschauen.

© Daniel Spohn
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Selbst wenn das Phänomen „Aurora“ mittlerweile wissenschaftlich erklärbar ist, die Mythen haben in den heutigen Erzählungen immer noch ihren Platz und nichts von ihrer faszinierenden und inspirierenden Kraft verloren. In der gesamten nördlichen Hemisphäre finden sich verschiedene und in ihren Details leicht abweichende Überlieferungen, dass das Nordlicht ein Götter- bzw. Geisterbote sei, der auf die Erde niederkommt, um zu tanzen. Beispielsweise seien darin die Seelen der Verstorbenen anwesend und diese würden über die „Himmelsbrücken“ Kontakt zu ihren noch lebenden Verwandten suchen. In einer kanadisch-indianischen Überlieferung wird im Nordlicht gar die irdische Schöpfung sichtbar. Die Polarlichter sind sozusagen Zeitzeugen der Kräfte, die uns erschaffen haben. Bei einigen Völkern galt es aber als gefährlich, direkt in das Nordlicht zu schauen, da jeder, der das riskiert, vom Tod erblickt und bald darauf magisch von ihm angezogen wird.

Die Präsenz und die Erscheinungsweise der Nordlichter waren eben schon immer derart geheimnisvoll und aufregend, dass sich die Menschen seit Jahrtausenden mit Fragen zu Herkunft und Sinn des himmlischen Wunders beschäftigten. Gerade auch die räumliche Nähe zum Kosmos, oder für Gläubige zum Jenseits, und die Unberechenbarkeit seines Auftretens faszinierten die Menschen jeher, so dass sie mit ihnen auch philosophische Überlegungen zu Leben und Tod verknüpften. 

© Daniel Spohn

Wir stehen am Fjord in einer kleinen Gruppe von Menschen. Niemand spricht ein Wort. Jeder ist völlig eingekapselt im persönlichen Zwiegespräch mit den tanzenden Lichtern. Die Begegnung mit der Aurora ist eine höchst intime, wie vermutlich jeder besondere Moment. Noch nie war es uns allerdings so bewusst, dass man zwar gemeinsam unterwegs sein kann, aber am Ende macht doch jeder seine eigene Reise. Eine Reise, die von dem was er oder sie gesehen und empfunden hat, bestimmt wird, und nicht (nur) von Raum und Zeit. Das ist ein großes Glück. Jeder hat seine eigene Erinnerung mit im Gepäck. Wir können uns davon erzählen und unsere Gedanken austauschen. Dadurch bekommen wir neue Perspektiven oder bedeutende Impulse geschenkt. Nicht nur das Reisen, auch das, was wir berichten und die Erzählungen, denen wir lauschen, bereichern unser Leben.

Nach zweieinhalb Stunden ist der hinreißende Spuk vorbei. Auf dem Weg zurück schaffen wir es irgendwann, uns aus unseren inneren Dialogen zu reißen und zu schauen, wo wir uns gerade befinden. Der Mond taucht die verschneite Umgebung in ein unwirkliches, magisches Licht. Alles, die Landschaft, die Luft, der Himmel sehen aus, als wollen sie nur eines sagen: Hier könnt ihr die absolute Ruhe, euren inneren Frieden finden. Wäre es nicht so unfassbar kalt gewesen, wir hätten uns am liebsten auf den weißen Untergrund gelegt und wären für immer in der eisigen Winterwelt verschwunden…

© Daniel Spohn
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Über uns

© Nico Schütz

Daniel bei der Arbeit

Uns zieht es immer wieder in die entlegeneren Regionen unserer Erde, derzeit am liebsten in den hohen Norden Europas, nach Australien oder Madagaskar. In unseren Reisereportagen versuchen wir die Natur und Kultur der bereisten Regionen auf ästhetisch bestmögliche Art und Weise wiederzugeben. 

Unser Anspruch dabei ist, besondere und flüchtige Augenblicke festzuhalten und ihnen in unserer hektischen Welt die Zeit zu geben, um wirken zu können. Daniel ist zudem als Referent, Fotograf und Biologe mit Multivisionsshows und als Fotomentor bei „natur im fokus“ unterwegs.

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