Tasmanien: eine Geschichte von Schönheit und Verlust – und was man daraus lernen kann

Tasmanien
© Daniel Spohn

Text: Stefanie Huber und Daniel Spohn, Fotos: Daniel Spohn

Einst machte sich allabendlich eine schöne, junge Frau, eingehüllt in einen Mantel aus dem Fell des roten Felsenkängurus, auf, um auf dem höchsten Sandsteinplateau ihren Liebsten zu erwarten. Dieser, noch nicht sehr lange dem Kindesalter entwachsen, musste an den Peripherien ihres Stammesgebietes in den Krieg ziehen, da dieses durch Eindringlinge bedroht war. Wenn er nach langen und beschwerlichen Kämpfen im Lager zu Bett ging, war der Anblick der schlanken Silhouette in der Ferne, die sich rot leuchtend gegen den dunkel dämmernden Himmel absetzte, sein Lichtblick und er schlief selig ein. Die junge Frau indes hörte von ihrem erhabenen Aussichtspunkt das immerzu anschwellende Kriegsgeschrei. Immer verzweifelter erwartete sie jeden Abend die Ankunft ihres Geliebten im Lager. Eines Abends jedoch, sah sie ihn nicht mehr. Sie wartete sieben Tage und sieben Nächte und weinte bittere Tränen, doch vergebens. In ihrer grenzenlosen Trauer über den entsetzlichen Verlust ihres geliebten Gefährten, legte sich die Wartende mit dem scharlachroten Gewand in ihre Tränen und sie sank langsam in den Sandsteinboden des Plateaus. Kurze Zeit darauf wuchs an dieser Stelle die schönste aller Blumen. Der Stiehl war wie der junge Krieger, stark und ohne Makel, die Blätter so gezahnt wie sein Speer und die Blüte so rot wie das schöne Mädchen im roten Trauerkleid. Seither ist die Blume, bekannt unter dem Namen Waratah (’beautiful’), das Symbol für die Schönheit.

(Auszug aus der mündlich überlieferten Traumzeiterzählung: „The first Waratah“)

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Die wilde Schönheit und geheimnisvolle Aura von Tasmanien haben uns überwältig. Während unserer Reisen sind wir jeden Tag aufs Neue ins Staunen geraten und „Tassie“ hat uns dabei gänzlich in seinen Bann gezogen. Wir sind in über und über in grün getränkte Regenwälder eingetaucht, konnten unvergessliche Fernblicke in einem surreal anmutenden Hochland mit beeindruckenden Gipfeln genießen und haben spektakulär abwechslungsreiche, einsame Küstenabschnitte durchwandert.

Nach unserem täglichen Frühstück mit Wallabys, Filandern und Vögeln, haben wir uns zusammen mit Wombats durch den Tag treiben lassen und sind abends den Kakadus in den Sonnenuntergang gefolgt, um uns auf die Spuren des Tasmanischen Teufels zu begeben und die leuchtend-blauen Perlenkettenfallen der Glühwürmchen zu bestaunen. Dabei haben wir viele Menschen getroffen, die sich mit Leib und Seele für den Schutz des einzigartigen Naturparadieses am anderen Ende der Welt und seiner außergewöhnlichen tierischen Bewohner einsetzen.

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In Tasmanien „on the road“ zu sein bedeutet, windige Stunden auf engen, kurvigen Straßen zu verbringen. Gut die Hälfte dieser Straßen sind unbefestigt, sogenannte „Gravel Roads“. Wir folgen den verheißungsvollen Kiesadern in unserem Campervan immer dem launischen Wetter hinterher und lernen schnell: hinter jeder Kurve lauern versteckte Schätze. Nirgendwo waren wir bisher unterwegs, wo sich das Gesehene auf so kleinem Raum derart abwechslungsreich gezeigt hat. Plötzlich noch auf Meeresniveau mit feinsandig weißen Traumstränden, befinden wir uns bereits nach dem ersten steilen Anstieg inmitten eines grünen Dickichts. Der tasmanische kühl-gemäßigte Regenwald im Süden und Westen der Insel steckt voller Naturwunder: Riesige Farne, Eukalypten, die bis zu 100 Meter hoch sind und damit zu den zweitgrößten Bäumen der Welt (nach den Redwoods in Kalifornien) zählen oder idyllisch vor sich hin plätschernde Bachläufe, die sich unerwartet in tosende Wasserfälle verwandeln.

Die Hauptstadt Tasmaniens, Hobart, liegt ebenfalls hier im Süden und beherbergt mit 250.000 Einwohnern nahezu die Hälfte der 500.000 Einwohner Tasmaniens. Der Hausberg Hobarts, der Mt. Wellington oder nur „der Berg“, sorgt mit seinen 1271 Metern Höhe dafür, dass die in seinem Niederschlagsschatten gelegene Stadt die zweittrockenste ganz Australiens ist. Von hier oben bieten sich uns spektakuläre Ausblicke auf die Stadt und deren Umgebung bei Tag und bei Nacht.

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Unweit der Stadt am Fuße des Derwent River findet man das australische Pendant zum deutschen Harz, die Hartz-Mountains, eine Region mit einer subalpinen, von Gletschern geformten Landschaft und eiszeitlichen Vegetation, in der man sich in einer Märchenwelt wähnt. Der australische Hartz ist auch Heimat der Symbolblüte Tasmaniens, die Waratah, die in der Schöpfungsgeschichte der Aborigines, der Ureinwohner Australiens, für die Schönheit steht. Östlich von Hobart liegt Bruny Island, die Insel vor der Insel (Tasmanien) vor der noch größeren Insel (Australien), berühmt für ihre weißen Wallabys und eine vielfältige Vogelfauna. In Port Arthur auf der Tasman Peninsula erzählt eine alte Gefängnisruine von der bewegten Geschichte der Insel als englische Sträflingskolonie. Entdeckt wurde Tasmanien 1642 durch Abel Tasman, der die Insel zunächst zu Ehren seines Auftraggebers und Generalkonsuls der Ostindienkompanie „Van Diemens Land“ genannt hat.

Mit dem Jahr 1804 begannen die Briten mit Sträflingsdeportationen nach Van Diemens Land. 1825 wurde Tasmanien zweite offizielle Kolonie im Britischen Empire nach New South Wales und 1856 in Tasmanien umbenannt und erhielt somit den Namen seines europäischen „Entdeckers“ Abel Tasman. Das Tasmanien von heute wurde unter anderem von den ehemaligen Gefangenen und deren Aufsehern aufgebaut und so fußt die kulturelle Identität der heutigen Tasmanier auf der Bewunderung für ihre entwurzelten Vorfahren, die es bewerkstelligt haben, nach dem schmerzhaften Verlust ihrer ursprünglichen Heimat unter den widrigsten Umständen „ihr“ Tasmanien zu erschaffen.

Literarisch wird der tasmanische Gründungsmythos im Stück The ship that never was von Richard Davey am Leben gehalten. Basierend auf einem realen Ereignis des Jahres 1834, als ein Schiff Sträflinge von Macquarie Harbor in das 1832 neu gebaute Gefängnis nach Port Arthur bringen sollte und währenddessen von zehn Gefangenen entführt wurde, erzählt das Drama von der anschließenden abenteuerlichen Flucht. Mit über 5000 Aufführungen ist The ship that never was das heute noch meistgespielte Theaterstück in Tasmanien und fester Bestandteil des familiären Unterhaltungsprogramms.

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Rund 40 % der Fläche Tasmaniens sind in Nationalparks oder Conservation Areas geschützt, der größte Teil in der Tasmanian Wilderness World Heritage Area im Südwesten. Nur wenige Straßen führen in dieses geheimnisvolle und menschenverlassene Gebiet, in dem wir tagelang mutterseelenallein sind. Die einzig geteerte Straße endet in Strathgordon, dort wo das lokale Energieunternehmen Hydro Tasmania Anfang der 70er den Lake Pedder geflutet hat, um Dämme und Kraftwerke zur Wasser- und Energieversorgung zu bauen.

Der Frust der Bevölkerung darüber, dass sie die Flutung des Lake Pedder nicht verhindern konnte, mobilisierte sie für den Kampf gegen die geplante Flutung des Franklin River einige Jahre später – eine Bürgerbewegung, woraus die erste grüne Partei der Welt, die United Tasmania Group, entstanden ist. Resultat dieser Bewegung war die erfolgreiche Rettung des Franklin River und die Gründung der Tasmanian Wilderness Society, die für den hohen Anteil der heutigen Schutzgebiete verantwortlich ist und in der sich viele Tasmanier aktiv einbringen.

Dort, in der tasmanischen „Wildnis“, wird es mit jedem Schritt weiter in Richtung Westen um uns herum immer nasser und immer nebliger. In diesem Teil Tasmaniens regnet es mehr als 300 Tage im Jahr. Von der atemberaubenden Landschaft ist wenig zu erkennen. Erhascht man einen Blick in den Himmel, sieht man die Wolken in einem Tempo über einem vorüberziehen, dass einem vom Zuschauen fast schwindelig wird. Am ungemütlichen Wetter ändert das jedoch so gut wie nichts, bis plötzlich der Himmel aufreist und einem Lichtschauspiele und Ausblicke schenkt, die einen in Sekunden für die durchnässten Klamotten und durchgefrorenen Gliedmaßen mehr als entschädigen. Als wir zu Fuß an das südlichste Ende der Insel gelangen, befinden wir uns einzig noch durch den tiefen, kalten Ozean getrennt tausende von Kilometern von der Antarktis entfernt.

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An der Westküste schließlich, auf die die gewaltigen Westwinde mit Tonnen von Regen ungebremst treffen, stehen wir inmitten einer immerzu stürmischen Brandung, die die schroffen spektakulären Felsen entlang der gesamten Küstelinie geformt hat. Große Teile des Areals hier am „Rande der Welt“ sind nur per Allrad oder zu Fuß zu durchqueren. Wenige Kilometer von der Küste entfernt, hinter den ausschweifenden Dünenlandschaften im Tarkine Hinterland: mystische Wälder, durchdrungen vom Lachen der Kookaburras und durchzogen von Moosteppichen, über und über mit Farnen bedeckt; die leider stark durch die Abholzung bedroht sind. Einige der Gebiete werden für den Tourismus nutzbar gemacht, um die Wälder vor der Zerstörung zu retten.

Diesem Zweispalt begegnet man in Tasmanien an vielen Ecken. Der inländische Holzsektor beschäftigt über 2000 Personen, der Gesamtumsatz des Holzschlages in 2015/16 betrug 293 Millionen Dollar und der Staat exportierte im Zeitraum von 2016 bis 2017 insgesamt vier Millionen Tonnen Holzprodukte. Da die Holzindustrie dadurch einen nicht unerheblichen Anteil am Bruttoinlandsprodukt ausmacht und viele Tasmanier in dieser Industrie tätig sind, kämpft sie beständig mit Naturschützern, die die einzigartige Flora und Fauna Tasmaniens schützen wollen und dafür Einnahmen und Arbeitskraft in die Tourismusbranche umverteilen möchten. Sie sehen dies als einzige Alternative, sowohl die Wälder, als auch den Lebensstandard der Bewohner zu erhalten. Viele der langjährigen Holzarbeiter sind allerdings wenig von der Aussicht angetan, bald Touristen durch die Wälder zu führen, anstatt diese mit der Motorsäge zu ernten.

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Die Tarkine-Region umfasst mit 1.800 qm das weltweit größte zusammenhängende kalt-temperierte Regenwaldgebiet. An den meisten Stellen komplett unzugänglich, steht man hier im letzten bekannten Habitat des Tasmanischen Tigers (Thylacine), das auch viele mythologisch bedeutende Kultstätten der indigenen Kultur beherbergt. Die Insel wurde in der letzten Eiszeit durch die Bass-Strait von Australien getrennt und so konnte durch die isolierte Lage der in Australien bereits ausgestorbene Tasmanische Tiger, auch Beutelwolf genannt, noch mehrere hundert Jahre im Einklang mit den dort heimischen Aborigine-Stämmen weiter leben. Ebenso wie diese musste er allerdings, als die ersten europäischen Siedler nach Tasmanien kamen, die Waffen strecken und schnell das Feld räumen. Die Europäer haben nicht nur innerhalb kürzester Zeit den Tasmanischen Beutelwolf ausgerottet, sondern auch die indigene Bevölkerung der Insel auf brutalste Art und Weise vertrieben und dabei viele Menschen getötet. Heute versucht die Regierung in Teilen Verantwortung zu übernehmen und die grausamen Taten anzuerkennen.

Auch in der Erinnerungskultur spielt die Geschichte der Ureinwohner mittlerweile wieder eine wichtige Rolle. Unter anderem erhalten viele der Parks und Regionen ihren alten Namen zurück oder werden in Gedenken an die einstigen vertriebenen und enteigneten Bewohner, wie im Falle des Tarkine, benannt.

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Durch die Verluste in der Vergangenheit wurde Tasmanien zudem zur Heimat der grünsten Bevölkerung unseres Planeten. Heute bietet gesamt Tasmanien noch immer einen geschützten Ort für bedrohte Tierarten, die nur noch auf Tasmanien zu finden oder vom Aussterben auf dem australischen Festland bedroht sind, wie der Tasmanische Teufel, der getüpfelte Beutelmader, das Schnabeltier oder gewisse endemische Vogelarten. Unser Höhepunkt in Tasmanien ist es jedes Mal, diese besondere Fauna aufzuspüren. Den Tasmanischen Teufel, den es nur noch in Tasmanien gibt (auf dem australischen Festland ist er bereits seit mehr als 600 Jahren ausgestorben), kann man bei seinen Streifzügen durch die Nacht beobachten, wenn man sich selbst aufmacht, die nächtliche Wildnis zu durchwandern. Denn der leider selten gewordene Raubbeutler legt bei seiner Futtersuche bis zu 25 Kilometer jede Nacht zurück. Die meisten Menschen jedoch bekommen das nachtaktive und menschenscheue Tier in freier Wildbahn nie zu Gesicht. Seinen unrühmlichen Namen hat er von den ersten Siedlern erhalten, die nachts ein derart schreckliches Geschrei aus dem undurchdringlichen tasmanischen Dschungel hörten, dass sie dachten, der Leibhaftige sei hinter ihnen her.

Unsere ersten Teufel in Gefangenschaft konnten wir im Tasmanischen Hochland beobachten. Devils@Cradle ist eine wunderbare Einrichtung mit beeindruckenden Mitarbeitern, die sich dem Schutz der Teufel verschrieben haben, indem sie am landesweiten Zucht- und Forschungsprogramm „Save the Tasmanian Devil“ mitwirken. Im Jahre 1996 wurde im Nordosten Tasmaniens bei den Tieren eine lebensbedrohliche Krankheit, genannt Devil Facial Tumour Disease, kurz DFTD, entdeckt. Dabei handelt es sich um eine bösartige Krebserkrankung, die sich durch Bissverletzungen im Gesicht fatalerweise von Tier zu Tier überträgt. Diese epidemiologische Ausbreitung des Tumors hat die Population in rund zehn Jahren um fast 90% dezimiert.

Prognosen im Jahr 2012 haben errechnet, dass die Art in 25 bis 35 Jahren vermutlich ausgestorben sei, wenn keine geeigneten Schutzmaßnahmen und erfolgreichen Therapieoptionen gefunden werden. Die Tumore, die in kurzer Zeit vom Mund über das Gesicht bis zum Hals wuchern, sind immens schmerzhaft, verhindern im fortgeschrittenen Stadium die Nahrungsaufnahme und führen zwangsläufig zum Verhungern des Tieres. Ein qualvoller Tod, der den Tasmanischen Teufel zu den am Stärksten bedrohten Tierarten unserer Erde macht. Der Beutelteufel profitiert heute unter anderem von dem kollektiven Trauma des Verlustes seines nächsten Verwandten, dem Thylacine oder Tasmanischen Tiger. Das letzte Exemplar des Beutelwolfs lebte bis 1936 in Gefangenschaft im Zoo in Hobart. Da es seitdem keine Sichtungen mehr in freier Wildbahn gab, gilt er seit den 1980ern offiziell als ausgestorben. Der Tasmanische Teufel erhält dadurch viel Unterstützung in Form von Artenschutzbemühungen, auch da er als Raubtier eine wichtige Funktion zum Erhalt des tasmanischen Ökosystems erfüllt. Zahlreiche Schutzprogramme und Forschungsprojekte versuchen seit Jahren, ein Mittel gegen das drohende Aussterben des Beutelteufels zu finden. Neben der Entwicklung von Impfstoffen gehört dazu auch die Vermehrung und Wiederansiedlung von gesunden Tieren in den von der Krankheit betroffenen Gebieten. Besonderes Glück hat man im Devils@Cradle im Frühjahr, da dann die Teufelmütter mit ihren Jungen, den Joeys, tagsüber „aktiv“ sind.

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Doch nicht nur der Gesichtstumor bedroht die faszinierenden Teufel. In ganz Tasmanien sind sogenannte „Roadkills“ ein großes Problem. In der Dämmerung oder nachts nimmt man besser den Fuß vom Gas. Überall am Straßenrand sind nachtaktive Beutler auf Futtersuche unterwegs. Das Resultat: Alle paar Kilometer liegen tote Kängurus, Possums, Wombats oder auch Beutelteufel auf den tasmanischen Straßen. Schaut man in die Statistiken wird man nachdenklich: Knapp 300.000 Tieren werden jährlich überfahren. Das sind ein totes Beuteltier pro Autofahrer und mehr als 30 pro Stunde. Tasmanien hält damit einen traurigen Weltrekord.

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Die Teufel sind als Aasfresser doppelt gefährdet, denn sie überqueren nicht nur nachts die Straßen, sondern nehmen Roadkills als dankbare Nahrungsquelle an. Wurde das angefahrene Tier nicht zur Seite geräumt, könnte der Teufel das nächste Verkehrsopfer werden. Um die Bevölkerung zu sensibilisieren, hat der Royal Automobil Club of Tasmania zusammen mit der Tasmanian Wilderness Society in 2018 eine landesweite Aufklärungskampagne auf den Weg gebracht.

Die tasmanische Nacht hat dennoch ihren ganz eigenen Reiz. Wenn die Dunkelheit ihren Höhepunkt erreicht hat, genießen wir über den friedlich schlummernden Gletcherseen Ausblicke auf den Himmel mit seinen abertausenden Sternen und Sternbildern, die so anders sind als in unseren Breitengraden, dass wir Raum und Zeit um uns herum einfach vergessen. Überhaupt, hier hoch oben auf den Dächern Tasmaniens ist die Gondwana-Vegetation so unwirklich und wie von einer anderen Welt, dass wir uns fühlen, als würden wir durch eine phantastische Filmkulisse wandern. So ging es auch Gustav Weindorfer, als er Anfang des 20. Jahrhunderts als österreichischer Einwanderer nach Tasmanien kam. Von der Schönheit der Umgebung gefangen, setzte er sich dafür ein, dass die Landschaft um den Cradle Mountain einer der ersten Nationalparks Tasmaniens, der „Cradle Mountain-Lake St. Clair National Park“ wurde. Durchstreift man diese irritierend schöne Kulisse heute, in der an jeder Ecke zahlreiche Wombats auf der Suche nach Futter umherstreifen, findet man ein Replikat seiner damaligen Behausung „Waldheim“.

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Der Norden ist landeinwärts gespickt mit Wiesen voller Kühe und Schafe – Schauplätze der klassischen tasmanischen Viehhaltung. An der gesamten Küste schlängelt sich eine der schönsten Straßen Tasmanien entlang. Die dunklen mit orangenen Flechten überzogenen, scharfkantigen Klippen und die weißen Strände des Rocky Cape sind im Frühjahr und Sommer mit bunten Wildblumen geschmückt. Wir folgen der Straße bis nach Latrobe, einem bezaubernden Örtchen, in dem uns Ron bei unserer erfolglosen Suche nach Schnabeltieren aufgabelte. Ron führte uns in das Warrawee Forest Reserve, ein Gebiet, das im Juni 2016 von einer verheerenden Flut völlig zerstört wurde. Das Areal war bis zu diesem Zeitpunkt ein Hotspot, um Schnabeltiere zu beobachten. Ron und seine zwei Brüder hatten es in den letzten 25 Jahren Stück für Stück mit eigenen Mitteln errichtet und für die Touristen und Tierbeobachter mit Wegen und Aussichtsplattformen ausgestattet. Die immensen Regenmengen im Winter 2016 sorgten dafür, dass dieses Lebenswerk in Minuten zerstört war. Als wir 2017 das erste Mal dort waren, war die gesamte Wucht der zerstörerischen Flut noch zu sehen und wir mussten uns durch das Gehölz und Dickicht kämpfen. Bei unserem zweiten Besuch 2018 waren teilweise einige Stellen wieder renaturiert und begehbar. Die Regierung hat allerdings entschieden, den mittlerweile über siebzig jährigen Brüdern kein Geld für den Wiederaufbau des Warrawee Forest Reserve zur Verfügung zu stellen, weshalb es fraglich ist, ob dieser wunderbare Ort jemals wieder für die Beobachtung von Schnabeltieren geöffnet wird. Was sie allerdings plant, sind 1.5 Millionen in den Bau einer Mountainbike-Strecke zu investieren. Sollte diese jedoch zu nah am Habitat der Schnabeltiere vorbeiführen, wäre dies eine Bedrohung der besonders scheuen, im Wasser lebenden Tiere. Wir jedenfalls hatten das Glück Ron kennenzulernen und wir sind ihm unendlich dankbar, dass er uns mitgenommen hat in dieses Biotop am Mersey River und uns „seine“ Schnabeltiere gezeigt hat. Immer dann, wenn Luftblasen an der spiegelglatten Oberfläche emporsteigen, taucht kurz darauf ein Schnabeltier auf. Und in der Regel gleich auch wieder ab.

Für uns ging damit ein Traum in Erfüllung, denn die Aussicht, die skurrilen Kloakentiere in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten, war ein Grund, der uns nach Tasmanien geführt hat. Als der erste Platypus 1798 als Sammlungs- und Forschungsobjekt nach Europa verschifft wurde, dachten die Forscher lange Zeit, es handele sich um einen Scherz ihrer Kollegen aus Übersee. Sie grübelten und wunderten sich über die diversen Naturen, die sie in ihm entdeckten: Ente, Vogel, Fisch und Vierfüßler? Sie konnten sich einfach keinen Reim darauf machen, wie dies zusammenpassen sollte. Doch das besonders Kuriose am Platypus sind seine Giftsporne an den Hinterbeinen und zusammen mit dem ebenfalls in Tasmanien lebenden Echidna (Schnabeligel) ist er das einzige eierlegende Säugetier der Welt. Gründe genug für uns, dieses besondere Tier in freier Wildbahn bewundern zu wollen.

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Ganz in der Nähe von Latrobe liegt der Narawntapu National Park. Dieser Park, der als erster wieder seinen Aborigine-Namen zurückerhalten hat, ist als „Serengeti Tasmaniens“ bekannt und der perfekte Ort, um sämtliche Känguruarten Tasmaniens und über 100 Vogelarten zu beobachten. Leider hat auch dieser Ort eine traurige Geschichte. Noch schmückt ein Wombat das Logo des Parks, da sich diese hier immer in großen Scharen auf den weitläufigen Wiesen getummelt haben. Bei unserem ersten Besuch wunderten wir uns bereits: weit und breit kein Wombat. Und als wir beim zweiten Mal wieder keinen einzigen Wombat zu Gesicht bekamen, haben wir Judy, die Rangerin vor Ort gefragt, warum dies so sei. Von ihr mussten wir erfahren, dass ein tödlicher Milbenbefall die „Wombat Mange“, verantwortlich dafür ist, dass es im gesamten Park keinen einzigen Wombat mehr gibt. Das soll auch so bleiben, bis die Parkleitung sicher ist, dass die Krankheit keine Gefahr mehr für die drolligen Beuteltiere darstellt. Erst dann wird es zu Wiederansiedlungsversuchen kommen. Bis dahin soll nun auch der Wombat aus dem Logo des Parks verschwinden. Traurig zu hören, aber mit dem Wissen, dass es an vielen anderen Stellen auf der Insel noch genügend gesunde Exemplare dieser bärigen, großköpfigen und dicknasigen Dauerfresser gibt, verlassen wir den Park weiter Richtung Osten.

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Der Osten Tasmaniens ist der trockenste und wärmste Teil der Insel. Dadurch, dass im Westen alles abregnet, bleibt die Ostküste größtenteils vom Regen verschont. Im Kontrast zur rauen und schroffen Westküste trifft man hier auf eine eher sanfte Küstenlinie mit aber genauso spektakulären Felsformationen. Die ersten Strände und Felsen, die uns verzaubern, liegen in der „Bay of Fires“. Diese Region trägt ihren Namen aufgrund der grell rot leuchtenden Flechten, die die Granitfelsen großflächig überziehen. Neben den Sonnenaufgängen, die mit den Flechten rot um die Wette strahlen, sind auch die sternenklaren Nächte an dieser Küste überwältigend.  Ebenso wunderbar wie die Bay of Fires sind die Strandabschnitte, die noch folgen. An den „Friendly Beaches“ weiter südlich kann man kilometerweit wandern und sich gar nicht entscheiden, welche Stelle die beste ist, um ein wenig zu verweilen. Jeder Zentimeter ist einfach wunderschön, egal bei welchem Wetter und zu welcher Uhrzeit. Jede Tageszeit und jedes Wetterphänomen bringen eine ganz eigene Stimmung mit.

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Die Coles Bay im bekanntesten Nationalpark der Insel, dem Freycinet National Park mit seiner ikonischen Wineglass Bay, bietet einen umwerfenden Blick auf die Hazards-Gebirgskette, die im Sonnenuntergangslicht sekündlich ihre Farben ändert. Wir lassen uns am Strand nieder, der bei unserer Ankunft noch grau und der Himmel wenig vielversprechend ist. Doch dann wissen wir plötzlich gar nicht mehr, wo wir als erstes hinschauen und was wir als nächsten fotografieren sollen: das Streiflicht auf den Hazards, die Farbexplosion im Wolkenhimmel, die sich im Wasser spiegelt, oder der Regenbogen, der sich hinter uns über den Eukalyptusbäumen immer weiter aufbaut, bis die Farben unglaublich intensiv und wir sprachlos werden.

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Hier nun unter dem Regenbogen endet unsere Reise, die uns quer durch Tasmanien geführt hat. Wir wurden dabei mit ganz besonderen tierischen und menschlichen Begegnungen belohnt, die mit zum Schönsten gehören, was wir im Lauf unseres Reiselebens erleben durften. Auf dieser wilden Insel mit der saubersten Luft und dem klarsten Wasser kann man wahrhaftig den Garten Eden entdecken, vorausgesetzt man bringt ausreichend Zeit und Muse mit, um sich auf die Natur, die Menschen und auf ihre Geschichte einzulassen. Dann lernt man nicht nur die unbeschreibliche Schönheit der kleinen Insel am anderen Ende der Welt kennen und lieben, sondern erfährt auch viel von der bewegten Vergangenheit, die heute der Antrieb vieler Tasmanier ist, ihr Land vor dem nächsten Verlust zu bewahren.

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Links:

‘The Companion to Tasmanian History’ der University of Tasmania: www.utas.edu.au

Parks & Wildlife Service Tasmania: www.parks.tas.gov.au

Save the Tasmanian Devil Program: www.dpipwe.tas.gov.au

Devils@Cradle: www.devilsatcradle.com/

Über uns:  

Uns zieht es immer wieder in die entlegeneren Regionen unserer Erde, derzeit am liebsten nach Australien, Madagaskar und in viele Teile Europas. In unseren Reisereportagen versuchen wir die Natur und Kultur der bereisten Regionen auf ästhetisch bestmögliche Art und Weise wiederzugeben. Unser Anspruch dabei ist, besondere und flüchtige Augenblicke festzuhalten und ihnen in unserer hektischen Welt die Zeit zu geben, um wirken zu können. Steffi schreibt gerade ihre Bachelorarbeit zum Genre des Reiseberichts und Daniel ist als Referent, Fotograf und Biologe mit Multivisionsshows und als Fotomentor bei „natur im fokus“ unterwegs. 

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