Mit der Clownerie um die Welt – Antworten von Geraldine Schüle

Geraldine Schuele Weltwach
© Geraldine Schüle

Gemäß den Prinzipien der Clownerie um die Welt: Geraldine Schüle wuchs in einer umherziehenden Schaustellerfamilie auf. Unterwegs zu sein, das Leben aus kindlichen Clownsaugen zu betrachten und sich in Pappkartons unter dem Verkaufstresen große Lebensfragen zu stellen, ist für sie genauso normal wie nun mit ihrem Partner in einem selbstgebauten Zirkuswagen zu leben. 

Um Antworten auf ihre Fragen zu finden, beginnt Geraldine schon mit 17 Jahren das Reisen in ferne Länder. Sie setzt sich spontan, teilweise ahnungs- und schonungslos Situationen aus, die auch mächtig schief hätten gehen können (und teilweise schief gegangen sind), um dem Kern ihrer vielen (Lebens-) Fragen näherzukommen. Sie lebt in einem Ashram im Süden Indiens, reist nach Kairo, wird dort Zeugin des Arabischen Frühlings und begibt sich im Libanon auf die Spur der Hisbollah. Inmitten dieser Erfahrungen findet sie ihre eigenen Antworten in den Prinzipien der Clownerie – Annehmen können, Neugier erhalten, Freiheit leben, Veränderung zulassen, leben im Jetzt, der Intuition vertrauen und das Scheitern als Chance begreifen. 

Aktuell arbeitet sie als Zirkuspädagogin- und Trainerin, Regisseurin, Speakerin, Autorin und schreibt an einem zweiten Buch. Das Erstlingswerk mit dem Titel „Grenzenlos leben – Meine 7 Reisen in die Welt und zu mir selbst“ – ist kürzlich im Knaur-Verlag erschienen. 

Für eine unserer Weltwach Plus Episoden war Geraldine schon bei uns zu Gast und hat ehrlich und reflektiert über ihre teils haarsträubenden Erlebnisse während ihrer Reisen berichtet. 

Fragen von Janna Olson.


Geraldine, unser Podcast-Gespräch hätte noch so viel länger gehen können, denn deine Erlebnisse in aller Welt sind zahlreich. Deine Erfahrungen in Indien, dem Libanon und Palästina haben wir nun schon angerissen. Mich würde interessieren, wie du überhaupt auf die Idee gekommen bist zu reisen. Was zog dich in die Welt hinaus?

Für mich war das Gespräch ebenfalls sehr bereichernd und hat mir riesigen Spaß gemacht. Danke! Nun zu deiner Frage: Mit siebzehn Jahren bin ich das erste Mal allein los. Nach Indien für ein viertel Jahr. Ohne Plan, ohne Job und nur mit einer vagen Idee dieses Landes in meinem Kopf. Ich glaube, es waren die Biographien von spannenden Menschen, die ich als Kind im Radio gehört hatte, oder von denen ich lesen durfte und die den Willen in mir geweckt hatten, meinen Dickkopf durchzusetzen und hinaus in die Welt zu ziehen. Könnte ja auch was für mich dabei sein.

Erinnerst du dich, welche spannenden Menschen dich damals  zum Reisen inspiriert haben?

Ich bin leider sehr vergesslich, was Songtitel und Namen angeht. Was bei mir hängen bleibt, ist ein Gefühl, welches diese Lebensgeschichten transportieren und welches mich motiviert hat, selbst loszuziehen. Jane Goodall hat mich natürlich fasziniert, aber auch Menschen wie Richard Branson. Nicht, weil ich mal eine Airline gründen will, sondern weil wir viel lernen können von unkonventionellen und mutigen Einstellungen gegenüber dem Leben. Die meisten Geschichten waren von Menschen, die gar nicht weltberühmt sind, aber dafür umso inspirierender. Das kann jeder sein in irgendeiner Facette.

Was bedeutet dir das Reisen? Hat sich diese Bedeutung für dich mit der Zeit verändert?

Das Reisen ist mir sehr wichtig, um in meinem Leben immer mal wieder einen Perspektivwechsel zu erschaffen, durch den ich ganz neu auf mein eigenes Leben und auf die Welt blicken kann. Reisen zeigt mir immer wieder, dass ich nicht recht habe mit meiner Lebensrealität, sondern dass es so viele unterschiedliche Realitäten gibt. Für mich hat sich das Reisen insofern verändert, dass ich heute noch bewusster beobachte. In jungen Jahren ging es mir oft um Abenteuer, Adrenalin und ums Grenzen-Testen. Heute geht es mir um Inspiration und den Perspektivwechsel, von dem ich erzählt habe. Dazu muss es nicht immer weit und abenteuerlich oder nervenaufreibend sein.

Wie hast du deine Reiseziele ausgewählt?

Bauchgefühl. Oft klang eine Region oder ein Land spannend und dann bin ich losgezogen, um mir ein eigenes Bild zu machen. Außerdem erzählen andere Reisende unterwegs, oder Einheimische, welche Regionen, Länder oder Reiseformen sie besonders geprägt haben. Dann kann es passieren, dass in mir ein kleiner Funken zu einem großen Feuer wird und dann ziehe ich los oder weiter.

Inwiefern hat das Reisen dein Leben zurück in Deutschland verändert? 

Ganz viele wunderbare Rezepte, Gewürze oder Techniken im Kunsthandwerk, finden ihren Platz in meinem Alltag im Zirkuswagen. Außerdem habe ich einen neuen Blick auf Deutschland und das Leben hier mitgenommen. Vieles ist für mich weniger selbstverständlich geworden und diese Abwesenheit von Selbstverständlichkeiten macht mich sehr dankbar. Dankbarkeit wiederum macht zufrieden und glücklich, egal, wieviel wir besitzen.

Aufgewachsen als Kind einer Schaustellerfamilie, arbeitest du nun als Zirkuspädagogin. Obwohl du selbst nie Clownin gewesen bist, verknüpfst du im Buch deine Reisen mit je einem Prinzip aus der Clownerie. Um welche Prinzipien handelt es sich hier und wie bist du auf sie gestoßen?

Im Rahmen meiner zirkuspädagogischen Ausbildung habe ich die Clownerie vor ein paar Jahren besser kennengelernt. Vorher hatte ich mich eher mit Disziplinen wie Seiltanz oder Akrobatik beschäftigt. In der Clownerie habe ich dann viele geballte Aha-Effekte über den Alltag und das Reisen gehabt, die ich dann in „Grenzenlos leben“ festgehalten habe. Es sind Prinzipien wie der Umgang mit dem Scheitern und welche Chance darin liegt. Clowninnen sind „Scheiterprofis“ und nicht trotz, sondern wegen des offenen und authentischen Scheiterns erfolgreich. Und das haben erfolgreiche Menschen überraschenderweise mit Clowns gemeinsam. Sie können offen scheitern und deswegen aus ihren Fehlern lernen. Neben dem Scheitern spreche ich Themen wie Neugier, innere Freiheit oder das Prinzip der Veränderung an.

Welche Bedeutung hat ein Satz wie „Die Welt durch die Augen eines Clowns sehen“ für dich?

Wenn ich heute mal nicht weiter weiß, oder mit einer Entscheidung hadere, dann frage ich mich oft, was meine „innere Clownin“ gerade tun würde. Clowninnen nehmen sich selbst nicht so ernst, handeln aus dem Bauchgefühl, aus ihrer Intuition heraus und haben damit auf humorvolle Weise recht. Humor entwaffnet und der friedliche Weg ist für mich immer der beste. Gerade heute, wo wir so vieles googlen und uns mit perfekten „InfluencerInnen“ oder erfolgreichen ManagerInnen immer und jederzeit vergleichen können, ist es wichtig, wieder Antworten in uns selbst zu finden und unseren eigenen Weg zu gehen, denn der passt zu uns, nicht das Leben der Anderen.

Der Clown ist dafür bekannt gesellschaftliche Themen zu spiegeln, ohne anzuklagen. Ist das auch ein Thema in deinem eigenen Leben? 

Gesellschaftliche Themen zu spiegeln, ohne anzuklagen, ist ein großes Thema für mich und für die Menschen mit denen ich arbeite. Für alle Menschen im Grunde. Denn jeder von uns ist einzigartig und wir dürfen ein Leben lang unsere Einzigartigkeit und gleichzeitig gesellschaftliche Strukturen kennenlernen, um unseren eigenen Weg darin zu formen. Wir müssen uns nicht auflehnen oder einsam fühlen. Im Zirkus und über mein Buch versuche ich Inspiration zu streuen, die eigene Art und Weise des Seins nicht zu verstecken, sich frei und offen auszuprobieren und damit eben nicht immer ins „Schema“ passen zu können. Nur so lernen wir, uns selbst nicht mehr zu belügen, um unsere Urangst vor Ablehnung (die wir seit Babytagen haben) zu überwinden. Wenn wir unsere Ängste herausfordern, können wir irgendwann aus Liebe handeln. Und dann machen wir die Welt ein bisschen besser.  

Mit welcher Intention hast du dein Buch geschrieben? Was möchtest du damit bewirken?

Ich möchte in meinen LeserInnen die Freude an sich selbst wieder entfachen. Im Grunde kann ich nicht viel mehr hoffen, als mit meinem Buch ein paar spannende und inspirierende Lesestunden zu bereiten. Geschichten zu erzählen, von denen vielleicht irgendetwas bleibt. Es ist alles schon gesagt und es gibt nur noch sehr selten wirklich neue Erkenntnisse auf dieser Welt. Trotzdem ist es gut und wichtig, wieder und wieder damit anzufangen, denn in einem größeren Maßstab betrachtet, leben wir Menschen friedlicher zusammen, wenn jeder Stück für Stück Befriedigung in sich selbst finden kann, anstatt im Außen nach Anerkennung, Zugehörigkeit und Liebe zu lechzen. Wir können nur so viel Liebe empfangen, wie wir schon in uns tragen und genau so viel Liebe können wir auch geben. 

Magst du die Verknüpfung von Reiseerlebnis und Clownsprinzip anhand eines Beispiels kurz erläutern?

Sehr gerne. Da fällt mir ein schönes kleines Bild ein, von dem ich erzählen möchte. In Ägypten habe ich im Wüstensand gesessen und die Wüste für ihre Schönheit und ihre Weite bewundert. Absolute Freiheit. Wie ein unbeschriebenes weißes Blatt, das uns alle Möglichkeiten offenlässt. Dann aber fiel mir auf, dass ich mich hoffnungslos verlaufen würde in der Grenzenlosigkeit dieser Freiheit. Ich würde ein Ziel brauchen, einen Stern, dem ich folgen kann. Im Leben und auch in der Bühnenarbeit brauchen wir einen Rahmen, den wir uns selbst setzen und ein Ziel, um unsere Freiheit überhaupt nutzen zu können. Ansonsten fühlen wir uns überfordert, verloren und irgendwie einsam. In der Clownerie ist es schwer, Menschen einfach so zum Lachen zu bringen oder überhaupt ihr Interesse zu wecken, wenn wir uns nicht selbst einen Fokus, einen Rahmen setzen, mit dem wir spielen. Eine Geschichte, die wir uns selbst und anderen Menschen erzählen möchten.

Eine deiner Reisen führte dich auch nach Kairo, und zwar zur Zeit des Arabischen Frühlings. Welche Intention hattest du, dorthin zu gehen? 

In Kairo war ich gleich zweimal. Die Energie der Menschen, die sich nach Freiheit sehnten, die gegen das Regime vorgingen, hatte mich tief berührt. Das Gefühl, am Puls der Zeit zu sein.

Was hast du dann dort erlebt?

Einerseits einen unglaublichen Zusammenhalt und ein gemeinsames Ziel. Andererseits eine tiefe Spaltung der Gesellschaft und schlussendlich wieder Gewalt und Kampf. In seinen Anfängen war der Arabische Frühling eine gute Bewegung, aber die Weltpolitik und Machtverhältnisse haben das Aufkeimen wieder umgelenkt und am Ende hat auch dieser friedliche Protest viele Opfer gefordert. 

Welches der Länder, die du bisher besucht hast, hat dich am meisten beeindruckt und warum?

Das ist sehr schwer für mich zu sagen. Lange Zeit hat mich der Nahe Osten fasziniert. Bis heute. Die Sprache, die Gastfreundschaft, die Küche, Architektur und Kunst. Die Gegensätzlichkeit von verschiedenen Realitäten, die in Konflikten wie zwischen Israel und Palästina Vereinigung finden. Aber auch das bunte, laute Indien oder der Balkan mit seinen liebenswerten Bewohnern und seiner spannenden Geschichte. Inzwischen bin ich aber auch gerne in Europa unterwegs. Direkt vor unserer Haustür gibt es so vieles zu entdecken.

Welches Land hat dich am meisten herausgefordert und warum?

Das waren Indien und der Libanon gleichermaßen. In Indien war ich selbst noch sehr jung und fast jeder, der Indien besucht hat, wird wohl erzählen, wie herausfordernd der Alltag in diesem Land sein kann. Ich kam zurück mit diversen Krankheiten, Läusen auf dem Kopf und einer geballten Wucht von neuen Eindrücken. Im Libanon bin ich ganz tief eingetaucht in Welten, die ich mir zuvor nicht vorstellen konnte. Eine Zeitlang habe ich dort mit zwei Männern der Hisbollah zusammengelebt und musste vieles ganz neu lernen. Im Detail habe ich von meiner Zeit im Libanon ja schon in unserem Podcast Gespräch erzählt.

Welche Begebenheit hat dich am intensivsten berührt und warum? 

Das waren Momente wie der am Frankfurter Flughafen, als ich nach meinem Rückflug aus Indien mein Zugticket verloren hatte, ohne Handy und deutsches Geld dastand und die Mitarbeiter der deutschen Bahn mir nicht helfen wollten. Ich hatte vier Monate Indien hinter mir und war plötzlich in meinem eigenen Land völlig hilflos, überwältigt und überfordert. Ich saß vor dem Flughafen im Regen und habe einfach nur geheult, als ein junger Mann sich zu mir gesellte, eine Mitfahrgelegenheit nach Freiburg organisierte und bezahlte und mir eine heiße Schokolade und eine Brezel kaufte. Er hörte mir zu und blieb bei mir, bis ich weiterfahren konnte. Ich habe ihn nie wiedergesehen. Da bekomme ich bis heute Gänsehaut und habe Pipi in den Augen, wenn ich dran denke. Aber es gäbe so viele Geschichten, die mich in den letzten Jahren berührt haben. Überall auf der Welt. Lebensläufe, Schicksalsschläge und pure Menschlichkeit.

Gibt es ein nächstes Ziel, welches du gerade verfolgst? 

Viel zu viele, aber das ist ja auch das Schöne daran. Ich schreibe seit einigen Monaten an meinem zweiten Buch und freue mich über all die Gespräche und Interviews zu “Grenzenlos leben“. Ich bereite Keynote Events vor und werde darüber meine Themen auch auf anderen Wegen in die Welt bringen. Außerdem gibt es in der zirkuspädagogischen Arbeit noch einige Flausen zu Kursen und Workshops in meinem Kopf. Daneben freue ich mich, jeden Tag mehr über das Leben lernen zu dürfen.

Herzlichen Dank Geraldine! 

Vielen Dank für unser Gespräch bei Weltwach Plus und dieses Interview. Macht weiter so mit eurem spannenden Format und all den inspirierenden Menschen, die ihr hier so interviewt!  

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Und wenn ihr neugierig geworden seid, dann hört doch mal rein  in unsere Weltwach Plus* Episode 19: Mit der Clownerie um die Welt – mit Geraldine Schüle. 

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