Der Anfang
Am 28. May 1988 erreichte ich allein den Gipfel des Everest. Endlich, nach dreizehn Jahren, hatte ich mir meinen Kindheitstraum erfüllt. Ohne weitere Stufen, die ich erklimmen konnte, saß ich auf dem Gipfel und fragte mich: was nun? Als ich mich auf der Spitze der Welt umschaute, fingen die braunen, rollenden Hügel des Tibetischen Hochlands meinen Blick und erinnerten mich an Australiens karges Inneres, ein Gebiet, das ich nie besucht, aber auf meinen Wegen zum Himalaya oder den Alpen häufig überflogen hatte.
Als Kind verbrachte ich meine gesamte Freizeit draußen im Busch. Entdeckungstouren, Abenteuer, Speere, Bögen und Pfeile, Tontöpfe und Baumhäuser. Im Busch war ich am glücklichsten, dorthin gehörte ich. Vielleicht war die Zeit gekommen, einem lange gehegten Wunsch nachzugeben und etwas über das Überleben in meinem eigenen Land zu lernen. Ich war ein lebendes Paradoxon: Dank meiner Erfahrung im Bergsteigen konnte ich einige der höchsten, härtesten Landschaften auf dem Planeten überstehen, Orte, die so extrem sind, dass Menschen sie nur kurz besuchen können. Aber setze mich in den trockenen Weiten meines eigenen Landes aus und ich hätte wenig Ahnung, wie ich überleben kann! Und dennoch haben Aborigines dort 60.000 Jahre gelebt.
Der Autor
Jon Muir ist einer der erfahrensten Abenteuer in der Geschichte Australiens. Seit 30 Jahren ist er ein Vorreiter in der Welt des Abenteuers und der Entdeckungen. Ihm gelang die erste Besteigung des Mount Everest aus dem Süden ohne Sherpas, bei der er den Gipfel allein erreichte.
Er erkundete eine neue Route zum Südpol, wanderte ohne Unterstützung zum Nordpol und paddelte in einem Kajak 6.000 Kilometer am Stück durchs Meer. 2001 schrieb Jon Geschichte, als ihm als erste Person gelang, den australischen Kontinent ohne Nachschub oder externe Unterstützung zu durchwandern. 2007 brach Jon Muir zu einer weiteren Solowanderung auf, dieses Mal über 1.700 Kilometer von Port Augusta ins Geographische Zentrum Australiens. Obgleich kürzer, erwies sich diese Expedition als noch schwieriger als die Durchquerung des Kontinents 2001. Es herrschte die schlimmste Dürre seit Beginn der Aufzeichnungen, weshalb Wasser und Buschnahrung sehr knapp waren. Jon Muir wanderte 70 Tage lang, ohne einen Tage Pause, und verlor erneut etwa ein Drittel seines Körpergewichts. Der Polarforscher Eric Philips beschreibt ihn als „einen der vielseitigsten Abenteurer auf dem Antlitz der Erde“ und Greg Mortimor, selbst ein außergewöhnlicher Bergsteiger, meint, Jon sei „eine Klasse für sich“. Er hat mehrere bedeutende Auszeichnungen erhalten, inklusive des Order of Australia (1989) und der Centenary Medal (2003) für Beiträge zur australischen Gesellschaft. 2001 ernannte ihn die Australian Geographic Society zum Abenteurer des Jahres. Während der vergangenen Jahrzehnte entwickelte er darüber hinaus ein tiefgreifendes Verständnis für die Filmkunst: Er filmte sechs Dokumentationen, von denen die berühmteste Alone Across Australia ist, zu der er ein gleichnamiges Buch verfasste. Er tritt weltweit als Motivationsredner auf und führt kleine Abenteurergruppen in maßgeschneiderten, ein- bis zweiwöchigen Expeditionen in die unberührte australische Wildnis.
Vor einer Karte zu sitzen und von Reisen zu träumen, war schon immer einer meiner liebsten Zeitvertreibe, und als ich es das nächste Mal tat, ließ ich meinen Blick über Australien wandern. Die Herausforderung, die mich aus der Karte ansprang, verschlug mir den Atem – eine nicht unterstützte Durchquerung des Kontinents. Nicht unterstützt, das heißt: keine Hilfe durch Lasttiere oder Fahrzeuge, keine vorbereiteten Depots, keine Nachschübe, nur meine eigene Kraft. Ich war sicher, dass nichts Derartiges jemals getan worden war und fragte mich, ob es überhaupt möglich war. Nun, es gab nur einen Weg es herauszufinden. Aber bevor ich auch nur daran denken konnte, aufzubrechen, lag ein langer Weg vor mir. Ich musste die Fähigkeiten und Kenntnisse erlangen, die für das Überleben nötig waren. Ich hatte es beim Everest geschafft, hatte Erfahrungen gesammelt, seit ich mit sechzehn das erste Mal Eis berührt hatte, bis ich auf der Spitze stand, elf Jahre später. Ich konnte es wieder schaffen.
Von 1990 bis 1995, im Urlaub und in meiner Freizeit, fühlte ich mich immer wieder in den Busch um meine Farm gezogen. Ich lernte über Buschnahrung und Überlebenstechniken aus Büchern und Erzählungen von Entdeckern, aber viel wichtiger war, dass ich in den Busch ging und übte. Ich unternahm etliche Ausflüge von bis zu drei Wochen, in denen ich ausschließlich von Buschnahrung lebte. Diese Trips, während derer ich Informationen aus Büchern in eigene Erfahrungen umwandelte, waren essenziell und so herausfordernd wie jede meiner Bergsteiger-Expeditionen. Vom Land zu leben erfordert ein ebenso hohes Maß an Einsatzbereitschaft, Weisheit und Wissen wie einen Berg hochzuklettern. Viele wechselnde Faktoren müssen stets berücksichtigt werden, mit dem Verständnis, dass gefällte Entscheidungen nicht nur das Gelingen beeinflussen werden, sondern auch das Überleben selbst.
Unter anderem lernte ich, was essbar und was giftig war, wie man im Notfall Wasser aus Pflanzen extrahieren und wie man Wasser sparen kann, und Techniken, mit denen sich die Zeit reduzieren lässt, die man braucht, um winzige Früchte zu sammeln.
Um den Kontinent erfolgreich zu durchqueren musste ich auch dessen Wetter und Terrain verstehen. Ich beschäftigte mich über viele Jahre mit Wettermustern und Regentabellen und brütete über Karten und autobiografischen Berichten über die Landschaften.
Nun, da ich anfing zu begreifen, was dieser Trip verlangte, konzentrierte ich mich zunehmend darauf, ihn zu ermöglichen. Um in wasserlosem Gelände zu überleben, braucht man mindestens vier Liter Wasser pro Tag, und die einzige Möglichkeit, über eine beträchtliche Entfernung genügend mitzunehmen ist, es hinter sich herzuziehen. Ein effektiver Wagen, ich nenne ihn Cruiser, würde das Kernstück der Ausrüstung sein, mit der ich die Große Mission – der Codename für meine Durchquerung des Kontinents – umsetzen konnte. Der Cruiser würde groß und stark genug sein müssen, um mein gesamtes Equipment zu tragen, inklusive Waffen, Kleidung, Abdeckplanen, Schlafsack, Lebensmittelrationen und Wasserbehälter – alles, was ich brauchen würde, um für bis zu vier Monate vollkommen eigenständig sein zu können – aber beweglich und leicht genug, damit ein Mann ihn über eine Strecke von 2.500 Kilometer ziehen konnte!
Australien wie wir es sehen
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch “Australien, wie wir es sehen – 18 Einheimische, Zugewanderte und Reisende erzählen von ihrem Down Under”, herausgegeben von Erik Lorenz und Thomas Bauer.
- Drachenmond Verlag
- 324 Seiten
- 14,99,- (eBook 4,99,-)
1996 baute ich also meinen ersten Trockenzonen-Cruiser. Der Super Cruiser war ein Karren aus Holz, eingehüllt in Kevlar (ein extrem widerstandfähiges Material, ähnlich wie Fiberglas), und schweren Quad-Rädern. Er bestand aus einem einfachen Holzrahmen mit zwei Rädern, etwa einen Meter voneinander entfernt, und zwei Schäften, die von der Vorderseite des Rahmens abgingen und sich mit dem Bund des Packgurts verbinden ließen. Ich musste nun sowohl den Cruiser als auch meine Fähigkeit testen, mich mit schwerer Ladung durch die Wüste zu bewegen. Ich wählte die Lake Eyre Region für einen Probelauf und brach im Winter 1996 mit 260 Kilogramm Wasser, Equipment und Nahrung – genug für 40 Tage – zur Wanderung ins Nirgendwo auf.
Die Wanderung war pure Magie – extrem hart, aber unbeschreiblich lohnend. Ich legte ohne Unterstützung 620 Kilometer durch das trockenste Gebiet Australiens zurück. Die einzigen Leute, die ich dort draußen sah, waren zwei Wissenschaftler, die dabei waren, mit gesenkten Köpfen ein Loch in den Sand des Sees zu graben. Das Erste, was sie von mir sahen, waren meine Füße in Sandalen, weniger als einen Meter von ihnen entfernt. Ich war schmutzig, zerzaust und unrasiert, und ich glaube ich habe sie furchtbar erschreckt!
Gegen Ende meines Streifzugs setzte ich mich auf die Spitze einer großen Sanddüne in der Tirariwüste, durch die ich gerade die erste nicht-unterstützte Durchkreuzung geschafft hatte, seit die Aborigines hier gelebt hatten, und schaute mich um. Die Wanderung ins Nirgendwo war die körperlich anspruchsvollste Expedition gewesen, die ich je unternommen hatte. Alles was ich für eine längere Reise durch Wüstengebiete benötigte hinter mir her zu ziehen, hatte mich näher an meine physischen Grenzen gebracht als irgendetwas, das ich zuvor versucht hatte. Am Ende der meisten Tage fühlte ich mich bei weitem erschöpfter als an dem Tag, an dem ich mich durch tiefen Schnee aufgemacht hatte, um den Gipfel des Everest zu erreichen. Ich machte mir keine Illusionen, dass eine Durchquerung des Kontinents all meine früheren Expeditionen wie Übungsausflüge erscheinen lassen würde. Und dennoch fühlte ich mich in diesem trockenen Land zuhause – es war an der Zeit, die Große Mission zu versuchen. Ich würde allerdings bis zum folgenden Winter warten müssen, denn ohne Nachschub durch den gesamten Kontinent zu wandern ist nur in den kühleren Monaten möglich. Die Sommertemperaturen können in den Wüsten 60°C erreichen, und in dieser Hitze kann man nicht die Menge an Wasser tragen, die der Körper zum Überleben braucht. Außerdem benötigte meine Ausrüstung einige Feinabstimmungen. Der Super Cruiser hatte auf der Wanderung ins Nirgendwo gut funktioniert, aber mit 29 Kilogramm war er zu schwer für eine längere Reise. Der nächste, den ich baute, hatte große Kevlar-Räder, die sein Gewicht um zehn Kilogramm reduzierten.
Versuch eins. Die Route, die ich sorgfältig ausgewählt hatte, war eine, die die zügigste Durchquerung, kombiniert mit Wasserquellen in einem Abstand von nicht mehr als 200 Kilometern, ermöglichte und einigermaßen flach war. All dies bedeutete, dass ich geradewegs durch die Mitte des trockensten Teils Australiens schneiden und der Zivilisation so weit wie möglich fernbleiben würde. Ich hatte vor, von Mystery Island (direkt nördlich von Port Augusta), einem Hügel mitten in einer Tonebene, die die Grenze der Reichweite der Gezeiten des Spencer-Golfs markiert, nach Burketown an der Nordküste zu gehen. Ein Trip, von dem ich schätzte, dass ich zwischen drei und vier Monate für ihn brauchen würde.
Mitte Juni 1997 war ich bereit für meinen ersten Versuch. Vor mir dehnten sich die 2.500 Kilometer nach Burketown am Golf von Carpentaria aus. Solch eine große Distanz mit einer riesigen Last – es war ein beängstigender Gedanke. Ich fing langsam, aber stetig an, was gut klappte. Aber nach nur einer Woche begannen meine Kevlar-Räder zu zerfallen und ich hatte keine andere Wahl als aufzugeben. Ich lief 50 Kilometer zur nächsten Straße und trampte zum Busbahnhof von Port Augusta.
Zurück daheim entschied ich, sofort einen neuen Versuch zu starten. Ich ersetzte die Kevlar-Räder mit den originalen Quad-Rädern, wodurch ich zwar meinen Gewichtsvorteil einbüßte, aber an Stabilität dazugewann. Der Winter war mittlerweile weit fortgeschritten und ich begriff, dass ich keine Chance haben würde, Burketown zu erreichen, wenn ich mich auch nur ein wenig verspätete. Wie es aussah, würde ich im späten Frühling durch die Tropen marschieren; es später zu probieren, stand außer Frage. Auch dieses Mal hatte ich kein Glück. Regenfälle, die eine lange Dürre beendeten, hielten mich auf, nachdem ich 200 Kilometer ohne Probleme gelaufen war. Es goss eine Woche lang, und mit keinem Ende in Sicht musste ich akzeptieren, dass aus meinen Hoffnungen und Träumen einmal mehr nichts geworden war.
Mit meinem dritten Versuch musste ich bis zum Winter 2000 warten. Dieses Mal brach ich nicht allein auf. Seraphine, mein Jack Russell-Mischling, war immer für eine Wanderung bereit. Ich war zuvor nie mit einem Hund gereist. Mithilfe von Lachlan Thompson und dem Team der Königlichen Technischen Hochschule Melbourne hatte ich einen neuen Cruiser gebaut, aber nach 200 Kilometern hatte ich erneut Probleme mit den Rädern. Eines der Lager zerfiel und schickte mich zurück zum Port Augusta-Busbahnhof und an das Zeichenbrett.
Verlor ich den Glauben? Nicht wirklich, ich hatte nie erwartet, dass diese gewaltige Herausforderung ein Kinderspiel werden würde. Obgleich eine sehr optimistische Person, bin ich auch ein Realist. Ich nehme alles an, was mir entlang meines Weges widerfährt und betrachte meine wiederholten Misserfolge als wertvolle Lektionen. Was ich versuchte, war ein Riesenschritt über alles hinaus, was bisher in nicht-unterstützten Wüstenreisen erreicht worden war, und nur indem ich rausging und es probierte, konnte ich lernen, was funktionierte und was nicht. Es ist immer das Fragezeichen, das mich interessiert. Je größer das Fragezeichen, desto besser. Die Große Mission war das größte Fragezeichen, dem ich mich je gestellt hatte und ich war entschlossen, mein Bestes zu geben. Es war offensichtlich, dass ich, um überhaupt eine Chance auf Erfolg zu haben, absolut alles richtig machen musste – die richtigen Entscheidungen treffen, die richtige Ausrüstung mitnehmen – und selbst dann war ich vom Wetter und Geläuf abhängig. In meinen vorangegangenen drei Versuchen hatten Ausrüstungsausfälle und Wetterbedingungen mich davon abgehalten, alles zu geben. Ich musste es noch einmal versuchen.
Am 14. Mai 2001 brachen Seraphine und ich von zuhause auf und machten uns an den vierten Versuch der Großen Mission, mit einem Auto voller Nahrung und Ausrüstung. Würden wir dieses Mal Glück haben?
Tag 2: Donnerstag, 17. Mai – Mystery Island, 10 km nördlich von Port Augusta
Hier bin ich wieder: Mystery Island, der Startpunkt meiner Durchquerung des Kontinents. Ich habe keine Ahnung, woher der Sandhügel seinen Namen hat, aber mir erscheint er passend. Ich habe hier mit Freunden bei drei meiner vier Versuche gelagert, und die Empfindungen sind immer die gleichen: Aufregung, Beklommenheit, Zweifel. Der Anfang und das Ende großer Reisen sind Zeiten intensiver Emotionen und Sensibilisierung, mit so vielen Fragen über mich selbst und das Land, die nur die Zukunft beantworten kann. Ein Mysterium.
Vor mir liegt nun also die ehrfurchteinflößende Herausforderung, zu Fuß von den Wassern des Südlichen Ozeans an der Südküste Australiens bis zu den tropischen Gefilden des Nordens zu wandern – eine Reise von etwa 2.500 Kilometern – ohne Unterstützung. Das bedeutet, wie erwähnt, keine Lebensmittel- oder Ausrüstungsnachschübe, keine Hilfe durch Lasttiere oder Menschen, und nur sehr selten menschlicher Kontakt entlang des Weges. Ich stehe vor einem extremen Solo-Abenteuer.
Ich befinde mich in einer leicht melancholischen, nachdenklichen Stimmung. In den kommenden Wochen und Monaten wird es Zeiten geben, da ich nicht einfach danach strebe, die Reise zu beenden, sondern um das Überleben selbst kämpfe – bin ich körperlich und geistig stark genug? Die Melancholie sollte sich weitgehend auflösen, sobald ich aufbreche, aber für den Augenblick halten mich Regenschauer hier fest, die die Route unpassierbar machen.
Ich mache einen abendlichen Spaziergang und finde etwas Erstaunliches – der Unterkiefer eines Wombats ragt aus dem erodierten Berg heraus. Er muss uralt sein, da ich weiß, dass Wombats in diesem Teil Australiens heute nicht leben. Ich möchte ihn fotografieren und filmen – ein bisschen auf David Attenborough machen. Das wird mir Übung im Filmen geben und meine Gedanken von den ungeheuren Ausmaßen der Aufgabe nehmen, die vor mir liegt.
Auf dieser Wanderung trage ich eine Videokamera und alle dazugehörenden Utensilien. Das alles summiert sich zu viel zusätzlichem Gewicht, aber ich bin entschlossen, eine Dokumentation über meinen Versuch zu machen. Ich möchte meine Erfahrung mit einem breiteren Publikum teilen. Ich hoffe, sie wird die Leute mit der Botschaft inspirieren, wie einfach das Leben sein kann. Allzu oft verlieren wir in unserer Flucht nach vorn, in die computerisierte Welt des 21. Jahrhunderts, das Tier in uns allen aus den Augen. Das Tier, das wie alle anderen nicht viel mehr als Wasser, Nahrung, Obdach und soziale Interaktion braucht. Für mich sind das grundlegende Werte, deren Bedeutung man zuweilen erst erfährt, wenn sie uns mal nicht mehr wie selbstverständlich begleiten.
Es ist nun später am Abend und ich habe gerade einen Spaziergang durch die Tonebene gemacht. Tonebenen sind vollkommen flache, tiefliegende Gebiete, die man im ariden Australien häufig findet. Diese ist ein bisschen anders als die meisten, da sie gelegentlich vom Meer überschwemmt wird. Ihre Oberfläche ist übersät mit Muscheln, und ich habe einige aufgehoben und eingesteckt. Ich werde sie durch den Kontinent tragen und sie dem Meer an der Nordküste zurückgeben. Vielleicht werden sie mir Glück bringen.
Tag 4: Samstag, 19. Mai – Mystery Island
Diesen Morgen erwache ich an einem wundervoll sonnigen Tag mit einem leichten Wind. Ich unternehme einen frühen Erkundungsgang, aber der Boden ist noch zu nass für den Marsch. Ich werde nirgendwo hingelangen, wenn ich versuche, unter diesen Bedingungen den Cruiser zu ziehen: Die Räder würden mit klebrigem Matsch überzogen werden, wodurch sie in kürzester Zeit aufhören würden sich zu drehen. Die Bodenoberfläche sollte bis morgen in Ordnung sein, also nutze ich meine Zeit, um die Arbeit an Seraphines Stiefeln zu beenden, obgleich sie sie noch nicht benötigt. Ich habe ihr ein paar geschnürte Füßlinge aus Leder speziell für Farm-Arbeitshunde gekauft, aber sie sind zu groß für sie. Ich muss sie so anpassen, dass sie ihren winzigen Pfoten passen. Ich sortiere auch meine Sachen und bereite mich für den Beginn der Wanderung vor.
Morgen werde ich also ernsthaft die größte Herausforderung meines kurzen Lebens antreten. Meine früheren Reisen in das aride Australien und meine ersten drei Versuche dieser Wanderung haben keinen Zweifel daran gelassen, dass 2.500 Kilometer zu Fuß überwiegend durch Wüstenlandschaften zu laufen und alles zu ziehen, was ich brauche, anspruchsvoller sein wird als irgendetwas, das ich vorher erreicht habe.
Einige Aspekte dieser Expedition werden anderen internationalen Trips von mir ähneln. Auf langen, nicht-unterstützten Wanderungen ist das Gewicht all der Dinge, die man benötigt, viel zu groß, um sie auf dem Rücken zu tragen. Also muss man sie ziehen. In der Antarktis nimmt man dazu einen Schlitten; hier in Australien eine Art Karren. In der Antarktis ist das Terrain allerdings viel leichter zu bewältigen. Dort läuft man für Wochen am Stück über flachen Schnee und endlose Eisflächen. Das einzige Hindernis sind Sastrugi, stromlinienförmige Erhebungen oder Rillen, die der Wind in Schnee gefräst hat und die für gewöhnlich weniger als einen halben Meter hoch sind. Bei der Durchquerung Australiens werde ich mich über hunderte von Sandhügeln von bis zu 20 Metern Höhe schleppen und tausende trockener Wasserläufe kreuzen. Viele davon sind bis zu 15 Meter tief und erfordern umständliche Ab- und Aufstiege, um hinein und heraus zu gelangen. In einigen Gebieten werde ich mich durch dichte Vegetation kämpfen müssen, andere sind mit großen Felsen bedeckt, ganz zu schweigen von Flüssen, Sümpfen, Salzseen – all das mit einer Last von bis zu 150 Kilogramm hinter mir – Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat.
Bergsteigen ist zumeist vergleichsweise bequem. Der Großteil der Zeit während einer Klettertour wird mit Faulenzen und Erholung verbracht. Natürlich werden diese Phasen von Tagen extremer körperlicher Arbeit unterbrochen, aber die neigen dazu, eher die Ausnahme als die Regel zu sein.
Ich hoffe die Götter sind mir gnädig – ich brauche sie auf meiner Seite. Mein Körper muss stark und gesund bleiben, ohne Verletzungen, mein Geist muss positiv bleiben, konzentriert und ausgeglichen, das Wetter darf sich nicht zu sehr vom Durchschnitt entfernen (zu viel Regen und ich komme nicht weiter, kein Regen und es gibt nicht genug Wasser zum Überleben), und meine Ausrüstung darf nicht kaputtgehen.
Tag 5: Sonntag, 20. Mai – Am Fuße von Nacoona Hill, Nacoona
Jetzt habe ich wirklich begonnen. Ich habe 15 Kilometer in vier Stunden zurückgelegt – ein solider Anfang. Ich finde neue Schönheit in den Ausblicken, die sich mit jedem Schritt, den ich mache, langsam öffnen. Selbst in diesem frühen Stadium beginne ich, die Anmut in den Details dieses Landes zu sehen. Die Wellen und Kräuselungen im Sand an den Seiten der Dünen schwimmen vor meinen Augen, und genau wie sie webe ich einen unregelmäßigen, unsichtbaren Kurs über den Kontinent. Alles woran ich vorbeigehe hat seine eigene einzigartige Schönheit, von den Spiralen auf einem toten Blatt hin zu den herrlich schroffen Gipfeln der Flinderskette im Osten.
Die Wanderung verläuft also gut und ich schaffe ohne Schwierigkeiten ein vernünftiges Tempo. Aber ich habe eine harte letzte halbe Stunde. Es macht keinen Sinn, die Dinge zu diesem Zeitpunkt zu überstürzen. Mein Körper und Geist müssen sich in die Mission hineinfinden, weshalb ich den Rest des Nachmittags raste. Nun, nicht wirklich raste: Diesen Morgen habe ich den Kopf des Kamerastativs abgebrochen – er muss repariert werden. Während ich nach einem passenden Stück Holz Ausschau halte, das ich zu einem Kopf-Ersatz zurecht schnitzen kann, wandern meine Gedanken zurück zum Marsch.
Ich habe dieses Großprojekt in Stufen von jeweils annähernd 200 Kilometern zerlegt, basierend auf den sich verändernden geografischen Besonderheiten, die ich zu durchqueren plane. Stufe eins verläuft von Mystery Island zur Spitze des Lake Torrens; Stufe zwei geht das östliche Ufer von Lake Torrens hinauf; Stufe drei kreuzt die roten, steinigen Ebenen bis zur Tirariwüste; Stufe vier durchquert die Tirariwüste selbst; Stufe fünf folgt dem Waburton Creek; Stufe sechs dem Eyre Creek; Stufe sieben dem Mulligan River; Stufe acht passiert den Mulligan River und führt zum Georgina River; Stufe neun folgt dem Georgina River; Stufe zehn überquert die Barkly Hochebene; Stufe elf folgt dem O’Shanassy River; und Stufe zwölf dem Gregory River.
Obwohl diese Stufen den Anschein erwecken, dass ich den Großteil der Reise Wasserläufen folge, fließen die meisten von ihnen selten, und ich erwarte, dass das Gehen trocken und zäh wird. Meine Geschwindigkeit wird von der jeweiligen Stufe abhängen, in der ich mich befinde, aber grundsätzlich möchte ich durchschnittlich 20 Kilometer am Tag schaffen. Ich werde für jeden Tag individuelle Ziele festlegen: Sie werden sich gänzlich nach den Bedingungen richten, mit denen ich es zu tun habe, und, noch wichtiger, nach dem Zustand meines Körpers.
Die täglich zurückgelegten Kilometer werden sich auch erhöhen, wenn meine Last leichter wird, was auf zwei Arten geschehen wird: allmählich, während ich meine Verpflegung verbrauche, und in Schüben, wenn ich Ausrüstung an diversen Punkten entlang der Route zurücklasse. Da ich nach Norden laufe und die Temperaturen steigen werden, kann ich Teile meiner Kaltwetterausstattung ausrangieren sowie verschiedene Kleinigkeiten wie meine zwei leichten Schlafsäcke und Karten, auf die ich zugunsten des Gewichts und der Geschwindigkeit verzichten kann. Nichts davon wird verlorengehen, da ich diesen Weg zurückfahren und alles mitnehmen werde, was ich unterwegs aussortiere.
Der letzte, entscheidende Teil meines Plans ist der finale Push. Das wird gegen Ende meiner Reise geschehen, wenn ich einen Punkt erreiche, an dem ich wenig Lebensmittel und Ausrüstung übrig habe. Dann werde ich den Cruiser aufgeben und nur mit meinem Schleppgurt, den man zur Not zu einem rudimentären Rucksack umfunktionieren kann, auf den Golf zuhalten. Ich hoffe, während dieses letzten Stücks schneller voranzukommen, da man mit Rucksack zügiger gehen kann als mit einem Karren. Es ist ein enormes Gewicht, das ich angesichts der Entfernung bewegen muss, die vor mir liegt, selbst ohne die unvorhersehbaren Variablen.
Ein Schritt nach dem anderen. Die Stativ-Reparatur wird sicher mehrere Nachmittagssessions dauern. Das Gewinde, das den Kopf an der Mittelstrebe hält, ist abgebrochen. Es wird keine leichte Aufgabe sein. Ich lagere am Fuß einer wunderschönen Düne, die Kasuarina-Bäume bedecken. Sie pfeifen und seufzen in der leichten Brise, während ich am Stativ arbeite. Das Wetter ist gut, also werde ich keine Plane aufspannen. Dadurch habe ich am Morgen eine Sache weniger zu tun und kann rascher aufbrechen.
Auf langen Wüstenreisen beginnt mein Tag immer mit dem Geräusch des Weckers in der Dunkelheit. Manchmal esse ich mein Müsli im Bett, dann putze ich meine Zähne und packe alles auf den Cruiser. Das letzte, was ich einpacke, ist der Schlafsack, weil Seraphine gern ausschläft. Sie schlummert eingerollt in der Tiefe meines Schlafsacks und steckt gelegentlich den Kopf heraus, um mir dabei zuzuschauen, wie ich das Lager zusammenpacke und den Cruiser belade. Sie klettert immer nur ungern heraus, wenn es Zeit ist zu gehen. Sobald es hell genug zum Sehen ist, bin ich auf dem Weg, um die kühlen frühen Vormittage auszunutzen. In der Morgendämmerung kann es kalt sein, weshalb ich, während ich das Lager abbreche, oft meinen Pullover, wollene fingerlose Handschuhe und manchmal meine leichte Daunenjacke trage und all das erst kurz bevor ich aufbreche ausziehe. Dann dauert es nicht lange, bis mir warm wird: Den Cruiser zu ziehen ist harte Arbeit.
Auf dem Marsch trage ich meine Wanderstiefel mit Gamaschen, um Staub und Stacheln draußen zu halten. Die Gamaschen sind auch gut zum Schutz vor Schlangen. Ich trage lange Hosen, ein langärmliges T-Shirt, ein Halstuch und einen Hut zum Sonnenschutz. Um meinen Hals hängen meine Karten in einer wasserdichten Tasche, ein Kompass und meine Uhr. Die Uhr hat mich auf jeder Expedition in den vergangenen zwölf Jahren begleitet und ist wie ein zuverlässiger Partner. Ich würde es für schlechtes Karma halten, sie zu verlieren, habe aber für alle Fälle eine Ersatzuhr dabei.
Welche Route werde ich morgen nehmen? Soll ich zur Abwechslung um den Hügel herumgehen statt über den Pass, wie bei meinen vorigen drei Versuchen? Ich werde eine Nacht darüber schlafen. Der Sonnenuntergang ist ungefähr 17:20 Uhr, und da ich für meine Stirnlampe eine begrenzte Menge an Batterien dabeihabe, geht es wie gewohnt früh ins Bett.
Tag 6: Montag, 21. Mai – Zwischen Nacoona Hill und Lake Torrens
Was für ein Kampf! Ich habe beschlossen, hochzusteigen und den Pass zu überqueren, und obwohl ich jetzt sicher bin, dass es eine bessere Route ist als um Nacoona Hill herum, ist es zum verzweifeln. Innerhalb von zwei Kilometern gewinne ich 100 Höhenmeter, die meisten davon in kurzen Steigungen aus losem Sand. Obwohl ich es langsam angehe, tränkt der Schweiß mein Hemd und brennt in meinen Augen. Was soll ich mit 150 Kilogramm hinter meinem Rücken auch erwarten?
Bisweilen werde ich von mentalen Tiefs überschwemmt, habe sie aber in der Regel im Griff. Die ersten Tage einer großen Soloreise sind für mich immer so. Bis ich in meinen Trott komme, bis ich die ganze Maschine zum Laufen bekomme wie ein Uhrwerk, gibt es Unsicherheit, gibt es Zweifel … Warum bin ich hier draußen? Warum bin ich allein? Die Antworten werden mir bald wieder klar sein, aber für den Augenblick ist es schwer, die Dämonen zu verjagen. Ich versuche Burketown zu vergessen, aber es hilft nichts. Die riesige Distanz spielt mit meinem Verstand, während ich mich voranschwitze und -schiebe, heute mit nur zwei bis vier Kilometern in der Stunde. Hinter alledem steht die unbeantwortete Frage: Kann ich es schaffen? Dies wird mein letzter Versuch sein, es sei denn etwas anderes als ich selbst macht in den ersten Wochen schlapp. Aber ich glaube, dass die Ausrüstung dieses Mal die richtige für die Aufgabe ist, und ich hoffe das Ergebnis hängt von mir ab – meiner Stärke, Ausdauer, Erfahrung und meinem Willen. Sollte ich der Herausforderung nicht gewachsen sein, werde ich die Niederlage mit Würde akzeptieren. Einmal mehr wegen eines Ausrüstungsausfalls aufgeben zu müssen, wäre dagegen beinahe unerträglich.
Ich schlendere in der Abendstille entlang einer nahegelegenen Sanddüne. Seraphine ist am Ende des Tages immer entspannter, und gemeinsam genießen wir diese besonderen Zeiten. Mich zu bewegen ohne den Cruiser zu ziehen verleiht mir ein Gefühl der Schwerelosigkeit. Nicht bei praktisch jedem Schritt über die beste Route nachdenken zu müssen befreit den Geist, ermöglicht es ihm, leichter umherzuwandern. Das Licht ist zu dieser Tageszeit weich und magisch, und an diesem Abend glüht die Flinderskette rot und lila, wie eine Halluzination über tiefer werdenden Schatten schwebend.
Diese Momente erinnern mich daran, warum ich hier bin und warum ich es liebe, auf mich allein gestellt zu sein. Es ist wegen der Schönheit, die mich in der Welt der Natur umgibt, und wegen des inneren Friedens, der mich durchfließt, wenn ich in sie eintauche. Allein erlebe ich das klarer und intensiver. Da sind die Antworten zu einigen meiner früheren Fragen.
Tag 7: Dienstag, 22. Mai – Irgendwo
Ich ringe darum, 15 Kilometer am Tag zu schaffen und dachte, es würde leichter sein, aber ich bemühe mich, mir keine Sorgen zu machen. Es ist eine lange Reise und ich muss langsam hineinfinden. Meine Muskeln brauchen Zeit, sich an die Belastung des Ziehens anzupassen, und es ist hier am Start, da ich am anfälligsten für eine Sehnen-, Bänder- oder Muskelverletzung bin. Ich erinnere mich, dass Borge Ousland, einer der erfahrensten Polarreisenden der Welt, berichtete, er sei seinen ersten Versuch einer Durchquerung der Antarktis zu hart angegangen, habe sich verletzt und sich erschöpft. Ich muss das vermeiden, aber nach nur vier Stunden im Gurt spüre ich die Ermüdung. Das Terrain ist um so vieles anspruchsvoller und unvorhersehbarer als das in der Antarktis. Die Landschaft verändert sich ständig, hält tiefe Wasserläufe mit steilen Ufern bereit, die ich hinab- und hinaufklettern, Sanddünen, über die ich mich kämpfen, dichten Bewuchs, durch den ich mich schlagen muss … Jeder Muskel in meinem Körper wird an seine Grenzen getrieben, und ich habe gerade erst begonnen!
Ich lasse mich zu einem Abendbrot nieder, von dem ich schätze, dass es während der Mission meine Standardmahlzeit sein wird: eine winzige Menge Reis mit etwas Bush Tucker – Nahrung aus der Natur. Ich werde auf meinem Weg so häufig wie möglich auf die Snacks der Natur zurückgreifen. Für mich werden sie vorwiegend aus Fleisch, Grünzeug und Früchten bestehen. Es lassen sich auch pflanzliche Kohlenhydrate finden, aber es dauert ewig, sie zu sammeln und zuzubereiten, und dazu fehlt mir oft die Zeit. Deshalb sind auf dem Cruiser über 40 Kilogramm Reis, Mehl, Müsli, Energie-Riegel und Schokolade, die ich mit nativen Früchten, Gemüse und Fleisch ergänzen werde. Je erfolgreicher ich beim Jagen und Sammeln bin, desto länger kann ich hier draußen bleiben, was wiederum meine Chancen erhöht, die Mission zu vollenden. Ich versuche am Tag so wenig von meinen Kohlenhydrat-Vorräten aufzubrauchen wie möglich.
Ich schieße ein Kaninchen und sammel etwas Fuchsschwanz, ein fleischig-grünes Gemüse, und werde also mit einem zufriedenen Magen schlafen gehen. Ich pflücke auch einige Salpeterbusch-Beeren, die wie salzige Weintrauben schmecken und die ich am Morgen zu meinem Müsli hinzufügen werde.
Tag 13: Montag, 28. Mai – Lake Torrens
Mein Everest-Besteigungstag! Heute vor dreizehn Jahren stand ich allein auf dem Gipfel des welthöchsten Berges und schaute über das weite braune Tibetische Hochland. Nun, hier, habe ich eine andere große, braune, leere Gegend um mich, die meine Fantasie fesselt. Ich liebe diese gigantischen Salzseen. Ihre Weite, ihre ausgetrocknete Sterilität verleiht ihnen eine einzigartige Reinheit. Nur an der Antarktis habe ich etwas Vergleichbares erlebt.
Alles, was ich bisher von Torrens gesehen habe, ist braun – ein kräftiges erdiges Braun, das sich bis zum Horizont erstreckt, wo es in einer perfekt gekrümmten Linie mit dem Himmel verschmilzt. Nicht wie die blendend weißen Salzflächen von Eyre, Gairdner oder Frome, den drei anderen großen Seen dieser Region. Nur Braun. Viele Wanderungen durch diese Seen über viele Jahre hinweg haben mir eine tiefe Liebe des subtilen Spiels des Lichts auf ihrer Oberfläche gegeben, und ich freue mich darauf, Torrens in den kommenden Tagen besser kennenzulernen.
Bei Seraphine läuft es gut, und ich schätze bei mir auch. Sie legt an einem Tag mindestens die doppelte Distanz von mir zurück. In den Morgenstunden tobt sie ganz besonders durch die Gegend, schnüffelt hier, kratzt und wühlt dort, rast einem Hasen hinterher, entfernt sich dabei aber selten mehr als 50 Meter von mir. Wir geben aufeinander acht. Manchmal lenkt sie ein besonders interessanter Geruch ab, so dass sie etwas zurückfällt, nur um ein paar Minuten später von hinten heranzustürmen, ausgefüllt von Freude und Aufregung. Es ist eine wundervolle Erfahrung, auf dieser Mission mit ihr zu reisen. Sie ist so voller Leben und Enthusiasmus für die Wanderung an sich, dass etwas davon auf mich abfärbt, und da ich selbst keinen Mangel an Begeisterung habe, gibt es sie im Überfluss. Unsere Bindung wird jeden Tag stärker und ich sorge mich um mein Hündchen in der Wildnis. Dingos oder Füchse könnten sie töten, Keilschwanzadler könnten sie davontragen, eine Schlange könnte sie beißen – es ist eine große Welt für einen kleinen Hund!
Ich denke, atme und grüble WASSER: mein ultimativer Zwang. Wie viel ist übrig, wie viel trinke ich, wo werde ich das nächste bekommen? Es wäre schwer, mir diese Fragen nicht fortwährend zu stellen: Ich habe momentan Wasser für drei Tage. Ich mache mir keine Sorgen darüber, behalte es aber in Gedanken. Ich hätte heute etwas aufnehmen können, aber ich möchte nicht viel mehr tragen als ich unbedingt muss. Es macht mich langsamer und ermüdet mich. Um die richtige Balance zwischen zu viel und zu wenig Wasser zu finden muss man viele Variablen im Griff haben. Ich stütze mich auf meine Erfahrung, damit ich es richtig mache, und ich muss es stets richtig machen oder das Spiel ist aus.
Tag 15: Mittwoch, 30. Mai – Lake Torrens
Ich genieße fantastische Aussichten während ich mich weiterkämpfe, mit den zerklüfteten Flinders zu meiner Rechten und diesem gewaltigen See und seinen Mysterien zu meiner Linken. Luftspiegelungen spielen den ganzen Tag auf seiner Oberfläche. Inseln lösen sich vom Boden und schweben über dem flachen Horizont, über Stunden am Stück im Himmel hängend. Auf einer meiner früheren Salzseereisen wurde ich Zeuge des außergewöhnlichen Anblicks meiner zwei Begleiter, die etwa einen Kilometer von mir entfernt herumgedreht wurden und auf den Köpfen am Himmel entlang marschierten. Bei einer anderen Gelegenheit, allein auf dem Lake Eyre, war ich zum nördlichen Ufer unterwegs, das vielleicht 70 Kilometer über die flache, merkmallose Oberfläche des Sees entfernt lag. Als ich, nachdem ich meinen Kompass überprüft hatte, aufblickte, starrte ich ungläubig auf das, was gerade erschienen war. Die vordere Düne des Nordufers war hochgehoben und näher herangebracht worden, so dass sie, bis ins kleinste Detail erkennbar, gerade einmal anderthalb Kilometer vor mir stand. Nachdem ich nochmals auf meinen Kompass schaute, um sicherzugehen, dass ich keinen Fehler gemacht hatte, beobachtete ich, wie sie sich bog und wie sie wankte, bevor sie genauso plötzlich verschwand wie sie aufgetaucht war. Du kannst deinen Augen an diesen magischen Orten nicht immer trauen.
Tag 22: Mittwoch, 6. Juni – Nankabunyana Creek, Lake Torrens
Vor etwa sechs Tagen habe ich ein Känguru geschossen, als es im ersten grauen Licht des Tages nahe am Lager erschien, und das Fleisch unter meinem Schlafsack auf dem Cruiser oder im Schatten eines Plastikbehälters aufbewahrt. An diesen kühleren Plätzen hat es beinahe eine Woche gehalten, was großartig ist. Es war köstlich. Gestern habe ich die letzten Reste davon gekocht und vertilgt.
Es gibt hier jede Menge Kängurus. Große Gruppen von ihnen, gelegentlich hundert Köpfe stark, hüpfen vor mir mit einer Leichtigkeit und Effizienz umher, in deren Angesicht ich mich langsam und schwerfällig fühle. Trotz ihrer Geschwindigkeit sind sie mit meinem .303 Gewehr leicht zu treffen, wenngleich ich diese Waffe zu irgendeinem Zeitpunkt zurücklassen werde, da sie viel schwerer ist als mein kleines .22 Gewehr. Ohnehin sind die Kängurus nördlich des Dingozauns selten, da die Jungen sehr verwundbar und willkommene Beute für Dingorudel sind.
Ein paar Eidechsen mögen heute auf der Tagesordnung stehen, denn sie sind überall, auch große. Im Allgemeinen war das Sammeln bisher recht einseitig: rubinrote Zahnbürstenbaumfrüchte, Misteln, Queller, Fuchsschwanz. Nichtsdestotrotz sind solche Pflanzen ein wichtiger Teil meiner Ernährung, zusammen mit dem Fleisch, das ich erjage, und den Kohlenhydraten, die ich mitgebracht habe. Ich sammle die Früchte und das wilde Gemüse unterwegs; ich warte, bis ich eine besonders gesunde und üppige Pflanze sehe, bevor ich sie pflücke.
Diese Reise beansprucht alles: Es gibt wenig Zeit für irgendetwas außer dem Hier und Jetzt, der Bewegung und dem Überleben. Es ist ein reines Gefühl, das in unsere Zeit als semi-nomadische Jäger und Sammler zurückreicht. Ich mag einige moderne Dinge bei mir haben, aber im Grunde ist diese Mission eine sehr schlichte Reise, in der ich durch die Landschaft ziehe und unterwegs Wasser und Nahrung finde.
Tag 32: Samstag, 16. Juni – Plateau-Kammlinie
Was für ein Lagerplatz! Ich bin oben auf einem flachen, ebenen Kamm, zehn oder zwanzig Meter breit und sechs Kilometer lang, der sich von einer der vielen Hochebenen nach Süden erstreckt, die es hier gibt. Der Grat sah von weitem aus, als würde er trocken und eben sein, und das ist er weitgehend. Selbst hier oben gibt es kleine Wasserbecken. Glücklicherweise gibt es immer eine Möglichkeit sie zu umgehen. Ich liebe diese abgerundeten kegelförmigen Hügel einfach. Sie scheinen entrückt, wie aus einer anderen Welt, und für mich künden sie von hohem Alter. In dieser Hinsicht bin ich nicht mehr als ein vorübergehender Schatten, was sich gut anfühlt. Die Flinderskette scheint nun verschwunden zu sein, ebenso wie Mount Deception. Ich kann noch Termination Hill sehen, und im Osten sind Mount Norwest und die Willourankette.
Heute war ein sehr harter Tag für eine Belohnung von gerade einmal 14 Kilometern Luftlinie. Werde ich jemals schneller werden? Möglicherweise erst, wenn ich beginne, Dinge zurückzulassen. Bis dahin wird es noch eine Weile dauern, aber ich freue mich sehr darauf. In der Zwischenzeit trotte ich langsam nach Norden. Der Regen, nasser Boden und Moore behindern mich. Immer wieder steckenzubleiben ist ein entsetzlicher Alptraum. Es fordert dich körperlich, wenn du dich aus dem Morast befreist, aber es fordert auch deinen Willen, deine Beharrlichkeit und vielleicht sogar deinen Verstand. Oftmals sieht man die Gefahr nicht einmal kommen, dann ist man plötzlich mitten auf einer Oberfläche aus der falschen Konsistenz, die die Räder sofort verklebt und festhält. Bei anderen Gelegenheiten geschieht es langsamer, wird schlimmer und schlimmer, bis die Räder schließlich blockieren. Wenn sie aufhören sich zu drehen, muss ich den Cruiser entweder herausziehen, wenn es nur ein paar Schritte sind, und die Räder von dem Schlamm säubern oder ich muss anhalten und sie fortwährend säubern, bis ich vom morastigen Boden herunter bin. Die Anstrengung, die es bedeutet, einen festgefahrenen Cruiser zu bewegen, ist enorm und zerrt an meiner Kraft. Manchmal muss ich die Räder sechs oder sieben Mal innerhalb weniger hundert Meter säubern, werde immer wieder aus meinem Rhythmus gerissen. Der einzige Ausgleich ist … ich muss kein Wasser tragen!
Tag 33: Sonntag, 17. Juni – Clark Creek
Hey, ein guter Tag, ich bleibe nur zweimal stecken! Ich lasse auch den Dingozaun hinter mir, wo der Kamm auf das Hauptplateau trifft. Dieser Zaun ist etwa anderthalb Meter hoch und ist mit dem Cruiser schwer zu überwinden. Mit etwa 6.000 Kilometern ist der Dingozaun der längste Zaun der Welt. Er verläuft von der Spitze der Großen Australischen Bucht nach Jandowae im zentralen Queensland und hält die Dingos aus den Schafsweiden im Süden heraus. Er wird ständig instandgehalten: Jeder Abschnitt wird alle zwei Wochen einmal abgefahren, und verschiedene Leute sind für verschiedene Abschnitte verantwortlich.
Ich komme gut voran, gehe über kompakte, blutrote, glattpolierte Steine, und die Szenerie ist prachtvoll, mit Tafelbergen und konischen Hügeln. Alles um mich herum ist ein Fest leuchtender Farben, überwiegend Rot und Grün, aber auch Gelb, Weiß und Lila. Es gibt hier viele Mineralien, die mancherorts wie Edelsteine schimmern.
Heute ist die Strecke zur Abwechslung etwas besser, vielleicht, weil es etwas trockener ist. Trotzdem fließt in einem der größeren Bachläufe, die ich überquere, tatsächlich Wasser. Zum Glück gibt es eine Furt aus Schotter in der Nähe und ich kann den Bach recht einfach passieren.
Hermit Hill legt heute seinen ersten Auftritt hin und wird mich die nächsten paar Tage begleiten. Letzte Nacht sah ich Cadnia Hill, jetzt sieht er schon viel größer aus. Diese Hügel sind nichts im Vergleich zur Größe und Höhe der Berge, die ich in den ersten Wochen passiert habe. Aber sie sind Landschaftsmerkmale, die über einige Tage in Sicht bleiben, und ich kann sie in ihren vielen Stimmungen genießen. Sie haben ihre eigene Identität, ich würde sogar sagen Persönlichkeit, obwohl das für einige lächerlich klingen wird. Wir teilen die Landschaft und es ist immer etwas traurig Abschied zu nehmen, wenn sie zwangsläufig verschwinden. Für den Großteil der restlichen Wanderung werde ich solche Begleiter nicht haben, da es über eine lange Strecke keine Berge oder Hügel gibt. Ich sorge mich nicht – ich werde etwas anderes finden, mit dem ich mich unterwegs anfreunden kann.
Tag 58: Donnerstag, 12. Juli – Warburton Creek
Ein neugieriger Dingo beobachtet uns vom jenseitigen Ufer, als der Morgen in dichtem Nebel heraufdämmert. Ein früher Spaziergang überzeugt mich, einen weiteren Tag zu bleiben: Es gibt einfach zu viel Matsch und es ist unmöglich, einen Weg hindurch zu finden. Als ich zurückkehre, ist der Dingo noch immer da, läuft am anderen Ufer auf und ab und mustert uns aus verschiedenen Winkeln. Dann, nach vielleicht einer Stunde, verschwindet er.
Wirklich überall liegen hier Mahlsteine der Aborigines herum. Mahlsteine sind flache Sandsteinplatten von bis zu einem Meter Durchmesser, die mindestens eine Rille oder Vertiefung haben. Viele wurden in der Nähe ehemaliger Lagerstellen liegengelassen. Die Frauen sammeln Wüstensamen, legen sie in die schalenartige Vertiefung des Mahlsteins und zerstoßen sie mit einem kleineren Stein, genannt Schleifer. Hier, in den Ebenen einen Kilometer vom Fluss entfernt, scheinen sie alle 500 Meter herumzuliegen. In einer Gegend sah ich sechs in anderthalb Kilometern. Zahlreiche Schleifer aller Formen und Größen liegen bei jedem Mahlstein.
Heute ist ein weiterer Tag erzwungener Rast und mir bleibt nichts als das Beste daraus zu machen. Ich habe begonnen meinen finalen Push zu planen. Das ist furchtbar aufregend! Es liegt alles noch in weiter Ferne, doch am Ende geht es sicher schneller als ich erwarte. Wann gebe ich also den Cruiser auf? Das ist eine Frage, die meine Gedanken noch lange Zeit beschäftigen wird. Offensichtlich will ich es nicht falsch machen: zu früh oder zu spät und ich könnte die ganze Sache kurz vor dem Ende verderben. Ich tendiere immer mehr dazu, meinen Cruiser am Donohue Highway gegen meinen Schleppgurt-Notrucksack einzutauschen. Von dort sind es nur 650 Kilometer nach Burketown, was ich ohne den Cruiser in drei Wochen schaffen könnte. Ich werde noch eine Weile darüber sinnieren.
Tag 61: Sonntag, 15. Juli – 250 Meter von Lagerplatz der letzten Nacht
Es nieselt in der Nacht mehrfach und regnet bei Tagesanbruch stetig. Ich breche auf. Bald erreicht der Boden einen kritischen Punkt, an dem es unvermeidbar ist, steckenzubleiben. Also stoppe ich – nachdem ich insgesamt ganze 250 Meter zurückgelegt habe!
Die Mission ist also einmal mehr ernsthaft ins Stocken geraten. Um das Beste daraus zu machen, werde ich etwas Nardoo sammeln, um meinen Mehlvorrat aufzustocken. Nardoo ist eine kleine Farnart, die aussieht wie ein vierblättriges Kleeblatt. Es gedeiht auf Land, auf dem nach heftigen Regenfällen das Wasser steht, und bedeckt den Boden vielerorts. Diese Pflanze bildet kleine Schoten, die man sammeln und zwischen Steinen pulverisieren kann. Die Schalen werden entfernt, ein gelbes Mehl zurücklassend, das dann mit Wasser vermischt und gebacken wird. Das Ganze ist ein langsamer Prozess, den ich mir nur antue, wenn mich Regen aufhält.
Für mich ist die Fähigkeit, die erzwungene Pause ohne Schwierigkeiten zu akzeptieren, ein Zeichen, dass ich eine neue Stufe der Einheit mit der Landschaft erreicht habe. Ich bin nur ein weiteres Staubkorn, das sich scheinbar willkürlich mit dem Auf und Ab des großen Rhythmus’ des Lebens bewegt, nicht mehr oder weniger wichtig als die unzähligen anderen Leben hier draußen.
Was jetzt vor mir liegt, habe ich nie zuvor gesehen. Als ich 1995 die Arunta durchlief, wie die Aborigines die Simpsonwüste nennen, ging ich vom Nordwesten ins Zentrum, nicht durch die östliche Seite wie dieses Mal. Für mich ist das Land von nun an, bis dorthin, wohin auch immer ich auf dieser Mission gelange, komplett neu. Eine ungeheuer spannende Zeit steht bevor, während ich mich weiter in ein stetig größer werdendes Unbekanntes stürze, das keine Grenzen kennt. Aber für den Augenblick stecke ich noch immer im Matsch fest!
Tag 73: Donnerstag, 27. Juli – irgendwo in der Arunta
Heute ist ein großartiger Tag mit einem Bisschen von allem. Es fängt an, als ich ein Wasserloch verlasse, an dem ich übernachtet habe, und einen Aborigines-Axtkopf aus geschliffenem Stein sehe. Es ist das erste Mal, dass ich jemals ein solches Werkzeug gefunden habe. Der Axtkopf lässt mich über die Vorfahren nachdenken, die dieses Land zuerst bewohnten. Sie waren in völligem Einklang mit dem Takt des Lebens um sie herum. Sie haben hier seit zehntausenden Jahren gelebt.
Es ist ergreifend, durch den Kontinent zu laufen. Oder es zumindest zu versuchen. Das ist, was wichtig ist: es zu probieren. Bei meinen ersten drei Versuchen hatte ich nie das Gefühl, die Chance zu haben, mein Bestes zu geben. Dieses Mal habe ich sie, und ich werde den Ausgang, egal, wie viel weiter ich komme, mit tiefer Zufriedenheit akzeptieren. Der Versuch ist alles, der Ausgang ist relativ unbedeutend.
Ich krieche wirklich nur langsam vor mich hin! Obwohl ich jetzt seit 73 Tagen hier draußen bin, bleibt meine Begeisterung so frisch wie am ersten Tag. Es ist ein berauschendes Gefühl, und es gibt mir Kraft und Motivation. Diese Reise war für mich ein großer Traum, und in mancher Hinsicht ist es genauso traumartig, sie zu erleben, wie es war, von ihr zu träumen. Daran werde ich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten oft zurückdenken. Allein in solch einem großen leeren Raum zu sein, grenzt tatsächlich an einen Traum.
Tag 88: Freitag, 11. August – Mulligan River
Ein harter Tag, an dem mich dichtes, knie- bis hüfthohes Dickicht auf eine Fahrzeugspur zwingt. Während ich darauf laufe, passiere ich mehrere artesische Quellen. Am Ende des Tagesmarsches verlasse ich die Spur und lagere an einem kleinen, wunderschönen, halberodierten Felsen in einer Gegend, die der Wind von jedem Bewuchs entblößt hat. Ganz in der Nähe und unweit der Quellen gibt es eine kleine Düne, die mit Artefakten der Aborigines übersät ist. Ich schlenderte zwischen ihnen umher, die Kraft der Steine im Abendlicht spürend. Wie lange sie hier wohl schon liegen? Einmal mehr fühle ich mich an die Vergänglichkeit unserer kleinen Leben erinnert.
Tag 91: Dienstag, 14. August – nirgendwo, Ende der Dünen der Artuna
Ich habe heute einen weiteren besonderen Tag auf der Mission, da ich bei der Rinderfarm Cravens Peak vorbeischaue, um mich über die vor mir liegende Strecke zu informieren. Nichts ist besser als das Wissen von Einheimischen, um das Wesen einer Gegend zu verstehen. Seraphine und ich werden von drei Schweinen begrüßt und treffen Ziegen und Hühner, bevor wir einer Frau namens Colleen McDonald begegnen. Für einen Moment sieht sie verängstigt aus; mein Anblick ist sicher keine Freude. Sie scheint sich aber zu entspannen, als sie Seraphine bemerkt. Es ist erstaunlich, was Colleen und ihr Ehemann, Gordon, aus diesem Ort in nur 26 Jahren gemacht haben. Gordon ist außer Haus, ist auf der Farm beschäftigt und wird später aufbrechen, um Verwandte abzuholen. Ich werde ihn also unterwegs treffen müssen, wenn ich mich mit ihm unterhalten will. Colleen gibt mir eine Dose Tabak, und zwar genau als ich ihn am dringendsten brauche, denn der Hunger meldet sich. Ich kenne keinen besseren Appetithemmer.
Ich gehe los und marschiere für ein paar Stunden jenseits der Fahrzeugspur. Leider ist es zu stachelig für Seraphine und hoffnungslos mühsam, so dass ich widerwillig zur Schotterpiste zurückkehre. Später treffe ich Gordon, einen rauen, typischen Farmer. Er ist auf dem Weg zu seinen Verwandten, aber ihn verblüfft meine Mission, und er hält an, um viele Fragen zu stellen. Besonders gern will er von meiner Buschnahrung kosten, die ich in meinem Vorratsbeutel habe.
Heute schlage ich in einem ausgetrockneten Teich mein Lager auf, dem einzigen Ort außer der Schotterpiste, der nicht von leicht entzündlichen, dornigen Pflanzen bedeckt ist. Ein Rudel Dingos taucht auf, als ich das Feuer entzünde. Sie beginnen uns zu umkreisen, näher und näher kommend, und schauen uns mehr als nur neugierig an. Es dämmert, und ich habe gerade noch genug Feuerholz für eine weitere Stunde. Es gibt keine Bäume, auf die ich klettern, und nichts wohin ich rennen könnte. Ich binde Seraphine an den Cruiser, mache Radau und werfe brennende Zweige nach ihnen. So leicht lassen sie sich nicht verscheuchen. Mir bleibt keine Wahl als einen von ihnen zu erschießen. Als ich es tue, flieht der Rest. Kurz darauf kehrt Gordon auf der Straße mit seinen Verwandten zurück. Er ist außerordentlich froh, dass ich einen Dingo erwischt habe: Es gibt ein Kopfgeld von zehn Dollar auf sie, also wuchtet er ihn auf die Ladefläche seines Utes. Ich freue mich darauf, die McDonalds bei unserer Rückkehr wieder zu besuchen.
Tag 92: Mittwoch, 15. August – Pituri Creek, Lake Idamea, unterer See
Heute kämpfe ich den ganzen, langen Tag mit kräftigem Gegenwind. Gestern habe ich weniger Distanz zurückgelegt als beabsichtigt und vielleicht brauche ich demnächst einen Tag Pause. Diesen Nachmittag finde ich das allererste Mal ein paar Sandelholz-Früchte – lecker! Ich verschlinge sie gierig und stopfe dann weitere in eine große Tasche für später.
Erneut bin ich an der Schwelle zu einer neuen Etappe der Reise, denn morgen werde ich den Georgina River erreichen. Die vergangenen drei Wochen sind gut verlaufen. Ich habe die Arunta mit ihren Sanddünen, ihrem Spinifexgras und den kleinen, struppigen Bäumen durchquert und über 500 Kilometer zurückgelegt, ohne einen einzigen Tag einzubüßen. Trotz des guten Vorankommens spüre ich in meinem ganzen Sein eine zunehmende Müdigkeit. Eine riesige Entfernung verbleibt zwischen mir und Burketown, inklusive des unwegsamsten Geländes der ganzen Reise, entlang des O’Shanassy River. Kann ich es schaffen?
Tag 119: Montag, 11. September – O’Shanassy River
Es ist ein wundervoller, aber auch sehr zermürbender Tag entlang des Flusses. Überall finde ich Tierspuren, ich sehe haufenweise Schweine und erlege ein Ferkel. Ich sehe auch viele hübsche blass-graue Wallabies und Süßwasserkrokodile, darunter einige kleine, die weniger als dreißig Zentimeter lang sind. Über dem Fluss erheben sich orange gestreifte Kalksteinwände, 50 bis 60 Meter hoch, manche mit dunklen, tiefen Höhlen. Der Zwölfjährige in mir möchte unbedingt den kurzen Hang hinaufklettern, um sie zu erkunden. Manche haben markante geschwärzte Streifen an den Decken, Hinweise auf Australiens erste Bewohner, die diese Höhlen über viele Jahrtausende genutzt haben. Ich halte an einem der langen, tiefen Wasserbecken, ruhe mich aus, werfe eine Leine hinein und fange einen Fisch. Es ist heiß und ich schwitze eimerweise.
Das Gelände ist heute größtenteils sehr schwierig, und weil ich so müde bin, stolpere ich etwas häufiger als ich es sonst in solch einer Gegend tun würde. Entweder verlaufen sich Pfade im Sand oder ich muss mich durch das Unterholz schieben und unzählige Äste aus dem Weg räumen. Es geht hier in sumpfigen Kanälen unentwegt auf und ab, viele von ihnen führen vom Hauptkanal fort. Einige Male ende ich auf Halbinseln und muss bis zu einem halben Kilometer zurücklaufen, um sie zu umgehen. Dann, kurz bevor ich halte, verändert sich das Wesen des Flusses. Die niedrigen felsigen Hügel und Klippen, die zuvor bis direkt an das von Feigenbäumen gesäumte Flussufer herangereicht haben, werden jetzt von einer recht offenen Ebene von ihm getrennt, die ziemlich schnelles Gehen ermöglicht. Ich hoffe auf eine Fortsetzung der verbesserten Reisebedingungen am morgigen Tag.
Meine Ausrüstung fällt langsam auseinander und in mir wohnt ein Hunger, gegen den scheinbar keine Menge an Fleisch, Früchten und Gemüse etwas ausrichten kann. Aber der Zustand meiner Füße verbessert sich und ich spüre keine Schmerzen, nur eine zunehmend schwere Erschöpfung. In der Tat gibt es ein Aufbegehren, das vom Kern meiner Seele ausgeht. Das endlose Marschieren, die Hitze, die Moskitos, die Stacheln; mein Wille spricht den strikten Befehl aus, mich dessen ungeachtet weiterzuschieben. Meinem bewussten Verstand fehlt die Kraft zu streiten. Ich glaube die nötigen Reserven zu haben, um die Mission zu vollenden, aber wie immer muss ich vorsichtig sein und meine Karten richtig ausspielen.
Eine Herde Brumbies – australische Wildpferde – lebt in der Nähe. Während ich das Abendessen zubereite, stolzierte der Leithengst in 25 Metern Entfernung hin und her. Die anderen Tiere schauen zu, schnauben und wiehern.
Es ist jetzt anderthalb Stunden nach Einbruch der Dunkelheit, und es ist heiß. Ich liege auf meiner Matte, der Schweiß läuft mir in Strömen herab. Vielleicht weil ich gerade ein Ferkel vertilgt habe! Die Moskitos greifen mich wie gewöhnlich an und ich habe ein halbes Dutzend winziger Zecken auf mir gefunden. Ich schätze sie haben auf den Schweinen gelebt und das sinkende Schiff verlassen, als ich die Schweine auf meine Ladung band.
Ein weiterer Tag ist also wie im Flug vergangen. Es gibt keine Unterbrechung der Mühsal, und wenngleich ich nun ziemlich nahe am Ende der Mission bin, denke ich nicht zu viel darüber nach. Es gibt hier zu viel, das mich fesselt. Während des Wanderns denke ich immer wieder über jene nach, die einst überall gelebt haben, wo ich entlang laufe. Ich sehe die Beweise ihrer Kultur und spüre ihre Gegenwart.
Tag 120: Dienstag, 12. September – O’Shanassy River
Einhundert und zwanzig fantastische Tage! Ich habe immer vermutet zwischen 90 und 120 Tage für die Große Mission zu brauchen. Falsch vermutet!
Es ist ein weiterer erstaunlicher, heißer Tag neben dem Fluss, mit einer Reihe schöner Klippen, die das Auge erfreuen. Ich kann nicht aufhören, über die prächtigen Bäume im Flusstal zu staunen. Ich schnappe ein weiteres Ferkel, fange diesen Abend neun Fische und sammle Feigen und einige Wasserlilien, aber das alles braucht Zeit.
Wenn ich mir den verbleibenden Teil der Strecke ansehe, von hier nach Burketown, sehe ich nicht, wie ich es bis zum 19. schaffen könnte. Dazu müsste ich durchschnittlich 28,5 Kilometer pro Tag zurücklegen. Australian Geographic versucht Berichterstattung über meine Ankunft zu organisieren und benötigt einen festen Termin. Aber das ist leichter gesagt als getan. Ich habe nicht genügend Trockennahrung mit, um es nach Burketown zu schaffen, weshalb ich noch langsamer gehen und das bisschen Essen, das ich habe, strecken muss. So bleibt mir die Zeit, zu jagen und zu sammeln. Das ist die einzige Weise, auf die ich es schaffen kann.
Der O’Shannassy führt gutes Wasser. Es ist das erste Mal in über 2.000 Kilometern, dass ich durch mein Wasser hindurchschauen kann. Meistens war es bestenfalls trüb, aber dennoch war sämtliches Wasser auf dem Marsch gut. Ich war nicht einmal krank, obwohl ich nichts davon behandelt habe.
Mittlerweile laufe ich ohne Unterbrechungen, denn nach kurzen Pausen wieder loszulaufen ist für meine Füße und meinen Körper zu schmerzhaft. Jedes Mal, wenn ich losgehe, brauchen die Steifheit, die Beschwerden und Blasen eine lange Zeit, um einen Punkt zu erreichen, an dem der Schmerz erträglich ist. Wenn ich für mehr als eine Minute stillstehe, muss ich den ganzen qualvollen Prozess wieder aufs Neue durchstehen. Ich halte nur zum Sammeln und Jagen, was bedeutet, dass meine einzige Erholungszeit nun am Abend ist, nachdem ich alles aufgebaut und für einen raschen Aufbruch am Morgen vorbereitet habe.
Wie kann ich die 200 Kilometer nach Burketown schaffen mit nur drei Müsliriegeln, zwei Stück Schokolade, weniger als 900 Gramm Reis, 650 Gramm Müsli, 50 Gramm Ensure (eine nahrhafte Alternative zu Milchpulver) und einem Klumpen Brot, der nicht einmal meine Handfläche füllt? Wäre ich frisch und nicht seit 120 Tagen unterwegs, kein Problem. Aber jetzt – keine Chance. Die Jagd und das Sammeln sollten besser erfolgreich sein.
Morgen erreiche ich die zwölfte und letzte Stufe der Mission, den Gregory River. Daumen drücken, dass wir uns gut vertragen!
Epilog
In den Tagen und Wochen, die auf meine Ankunft in Burketown folgten, fühlte sich mein Körper kaputt an wie nie zuvor. Ich hatte während meiner Mission 23 Kilogramm Körpergewicht verloren; es gab kein Gramm Fett an mir und meine Muskeln waren dünn und verkümmert. Die Linien in meinem Gesicht waren tief und ich sah 20 Jahre älter aus als ich war. Es erstaunt mich immer, wie der Wille – die Psyche – den Körper weit darüber hinaus antreiben kann, was die Leute für möglich halten. Sobald das Ziel erreicht und die Sicherheit gewährleistet ist, fällt der Körper zu einem Haufen zusammen, und erst dann realisiert man, wie weit man über sich selbst hinausgegangen ist.
Ich verbrachte ein paar Tage in Burketown, wo sich die Einheimischen um mich kümmerten. Ich war in keiner Eile weiterzuziehen, musste und wollte ein paar Dinge erledigen, wie Interviews und dergleichen. Nachdem ich die letzten 57 Tage pausenlos marschiert war, fühlte ich mich einfach danach, wenigstens für ein paar Tage an einem Ort zu bleiben.
Während meines Aufenthaltes wurde ein Boot organisiert, um mich durch die Mangroven hinaus aufs offene Wasser des Golfs von Carpentaria zu bringen. Als ich über das blaue Wasser des Meeres blickte, wanderten meine Gedanken zu Burke und Willis, die den Kontinent als erste durchquert hatten. Ohne Boot waren sie nicht in der Lage gewesen, diesen Blick zu genießen, aber das Salzwasser zu erreichen und die Expedition erfolgreich abzuschließen muss ihnen ein überwältigendes Gefühl der Zufriedenheit beschert haben.
Dann fuhr ich nach Süden, durch den Kontinent, sammelte meine verstreute Ausrüstung und einige Steine ein und besuchte die Farmbesitzer, die ich unterwegs getroffen hatte. Jeder war glücklich, mich zu sehen und wollte wissen, wie es mir ergangen war, nachdem ich bei ihnen durchgekommen war. Sie alle kommentierten, wie dünn und hager ich aussah, besonders Malcolm und Colleen McDonald, die die ersten Leute waren, denen ich auf der Wanderung begegnet war – als ich noch relativ frisch aussah.
Der Kontinent raste in einer unscharfen Mischung aus brauner Erde und roten Felsen an mir vorbei. Auf diese Weise zu reisen gibt dir einen Überblick darüber, wie das Land aussieht, aber du erlebst es nicht voll. All die Subtilität geht verloren, und in einem Auto zu sitzen ist wie in einem Raumschiff eingesperrt zu sein: man kann das Draußen sehen, es aber nicht hören, riechen, berühren oder schmecken. Die Entfernung schien enorm, selbst in recht geraden Linien und mit 70 bis 100 Kilometern in der Stunde. Es ging ewig weiter und machte mir klar, dass ich tatsächlich durch den Kontinent gelaufen war.
Nach langer Abwesenheit zuhause anzukommen ist immer eine seltsame Zeit für mich. Ich erfahre alles mit der erhöhten Intensität, die aus großen Abenteuern resultiert. Nach einer langen Soloreise ist das noch mehr der Fall. All die kleinen Dinge, die man im Alltag normalerweise übersieht, machen sich bemerkbar, als wäre es das erste Mal, und wieder regelmäßig mit Leuten zu kommunizieren ist mühsam.
Einige Tage, nachdem ich heimgekehrt war, fuhr ich die 300 Kilometer nach Melbourne, um in der Fernsehtalkshow The Panel aufzutreten. Der einzige Grund, aus dem ich dem Auftritt zugestimmt hatte, war, dass ich damit anderen helfen konnte – helfen, sie zu inspirieren, zu motivieren. Um unserer Jugend zu zeigen, dass man erfolgreich sein kann, ohne sich streng an gesellschaftliche Konventionen zu halten, ohne zum Beispiel ein Abitur gemacht zu haben oder sogar zur Universität gegangen zu sein. Sich in seiner eigenen Individualität wohl zu fühlen. Nichtsdestotrotz war es auf einer persönlichen Ebene das Letzte, wonach mir an diesem Zeitpunkt der Sinn stand. Als der Moderator wissen wollte, ob ich mich jemals fragte: „Warum tue ich das? Warum tue ich das?“, antwortete ich also in aller Aufrichtigkeit: „Ja, während ich hierher fuhr, um mich vor diese hellen Lichter und Kameras und drei Millionen Menschen zu setzen; das ist eine Frage, die ich mir den ganzen Tag gestellt habe!“