Kiribati: ein Land vor dem Untergang

Kiribati
© Urs Wälterlin

Am Strand von Tabiteuea im Norden der kiribatischen Hauptinsel Tarawa schwimmen Kinder im Licht der untergehenden Sonne. Kiribati (ausgesprochen Kiribas), ein Land im Pazifischen Ozean: Sandstrände, Palmen. Freundliche, nette Menschen. So, wie man sich ein tropisches Inselparadies vorstellt. Doch das Land lebt einen Alptraum.

Kiribati

Stimmen die Prognosen der Wissenschaftler, dürfte Kiribati als die erste Nation der Welt dem Klimawandel zum Opfer fallen. Schon in wenigen Jahrzehnten soll der steigende Meeresspiegel die 33 Atolle und Riffinseln überspült haben. Es sind zwar nur ein paar Millimeter, die Weltmeere derzeit steigen, sagen Experten. Das alleine wäre keine Gefährdung für die Nation. Es sind die immer häufiger werdenden Stürme, die stärkeren Winde – ebenfalls Folgen höherer globaler Temperaturen, die früher oder später zum Untergang führen könnten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die meisten Inseln von Kiribati liegen nur zwei, drei Meter über dem Meeresspiegel. Sie bestehen aus Korallenschrott und Sand. Schon nur ein schwacher Sturm kann sie schwer beschädigen, der nächste sie wegspülen.

Klimawandel ist in Kiribati schon lange mehr als Theorie. Globale Erwärmung führt zum Schmelzen gigantischer Eismengen in der Antarktis, in der Arktis, in den Alpen und in anderen Gebirgen des Globus. Gleichzeitig führen höhere Wassertemperaturen zu einer Ausdehnung der Masse des Meeres, so Klimawissenschaftler. Die Physik des Klimawandels ist komplex, doch ihre Auswirkungen zeigen sich in Kiribati überall. Zwei unbewohnte Inseln verschwanden schon 1999 unter Wasser. “Diese Brücke wurde vom Meer einfach weggespült”, erzählt der junge Mann. Beton und Stahl – gegen die steigende Flut, die hämmernden Wellen haben sie keine Chance. Dabei sei das erst der Anfang, warnen Fachleute.

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Ein Feld im Hauptsiedlungsgebiet von Süd-Tarawa. 110 000 Menschen leben in Kiribati, der Großteil hier. In Süd-Tarawa ist die Bevölkerungsdichte mit 3574 Menschen pro Quadratkilometer eine der höchsten der Welt. Es gibt es Arbeitsplätze, Annehmlichkeiten der Zivilisation, während man fast überall in der Republik noch weitgehend traditionell lebt, als Selbstversorger. Der Druck auf den Lebensraum wächst, während gleichzeitig die Fläche schrumpft. Das Meer frisst sich wie ein Krebsgeschwür ins Land, es sickert in Gärten, Baumplantagen. Salz und Pflanzen, das geht nicht. Die für die tägliche Ernährung aller Menschen fundamental wichtigen Brotfruchbäume sterben zuerst. Dann gehen die Palmen ein – Lieferanten von Kokosnüssen. In getrockneter Form werden sie zu Kopra verarbeitet, dem wichtigsten Exportprodukt von Kiribati.

Die Menschen schützen sich mit dem, was sie haben. Sie bauen Seedämme, Schutzwände, um das eindringende Wasser abzuhalten, so gut es eben geht. Sie verwenden Korallenschutt, auch Beton. Und Abfall. Müllsäcke, Konservendosen, Babywindeln, Tierkadaver, Autowracks. Alles, was sich irgendwie aufschichten lässt, ist gut genug. So gleicht das Südseeparadies vielerorts einer gigantischen Müllkippe. Und mittendrin spielen Kinder. Das hat Folgen. Kiribati hat eine hohe Kindersterblichkeit, erzählt eine australische Krankenschwester. Der fünfte Geburtstag, er werde ganz besonders gefeiert. Es heiße, dass ein Kind mit ihm die erste, große Hürde des Lebens geschafft hat. “Das Problem ist auch das Trinkwasser”, erzählt Amon, “weil das steigende Salzwasser es vergiftet.” Der 68jährige hatte sieben Kinder. Zwei starben im Kindergartenalter, erzählt er. An einer Entzündung.

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“Noch vor zehn Jahren kam die Flut bis dorthin, wo der Felsen ist”, zeigt Charles Langley. “Heute kommt sie bis hier, wo ich stehe.” Der 24jährige ist stolz auf seine Heimat. Das scheinbare Nicht-Interesse der Welt am Schicksal der Inselnationen im Pazifik, es macht ihn traurig, ja wütend. Er kann es nicht verstehen, dass es im Westen immer noch Leute geben soll, die nicht an Klimawandel “glauben”. Das habe nichts mit Glauben zu tun, sagt er, sondern mit Tatsachen. “Die sollen mal herkommen und sich das ansehen.”

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Die Frau am Fischmarkt lacht zufrieden. Gleich mehrere Muränen hat ihr Mann heute heimgebracht. Das ist nicht immer so. Früher waren die Fänge so üppig, man konnte nach ein paar Stunden auf dem Wasser ein halbes Dorf mit Fischen versorgen. Heute seien die Fänge weniger groß. Ein paar amerikanische Tiefseetaucher erklären am Abend beim Bier, was sie beim Verlegen von Abwasserröhren im Riff vor Tarawa gesehen haben: Korallenbleiche – überall. Auch dieses Phänomen ist eine Folge höherer Meerestemperaturen. Dauert die Erwärmung an, dauert die Bleiche an, kann sich das Riff nicht erholen. Die Lebens- und Fortpflanzungsräume der Meerestiere sind zerstört. Korallenstöcke sind die Gebärsäle für Fische, und ihre Futterkrippe. Jene, die überleben, fallen dem Raubbau von Langnetz-Schiffen aus Korea und China zum Opfer. Sie fegen das Meer um die Insel von Kiribati leer. Kiribati erhält dafür Lizenzgebühren, die wichtigste Einkommensquelle für den Staat. “Es gibt keine ethische Form des Fangens von Meeresfrüchten”, so ein Experte. Nur ein Totalverzicht auf Fisch aus Wildfang könne den Raubbau stoppen.

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Anote Tong vor seinem Haus, im Hintergrund die Brandung. “Ich fürchte für die Zukunft meiner 12 Enkelkinder”, sagt er. Der ehemalige Präsident von Kiribati ist zum Fürsprecher der pazifischen Inselstaaten geworden. Gerade ist er von einer weiteren Reise nach Madrid, Zürich und Suva zurückgekehrt. Politiker rund um den Globus hörten ihm freundlich zu, berichtet er. Sie zeigten wie immer Verständnis für die verzweifelte Situation, in der sich sein Volk befindet. Doch werden sie etwas tun? Anote Tong schläft schlecht, seit Jahren. Nicht nur wegen des Jetlags. “Es wird alles viel schlimmer, als meine Leute hier glauben”, erzählt er, der “tausende von Expertenberichten gelesen” habe. “Ich sage ihnen nicht, wie die Realität ist. Weshalb auch? Es macht sie nur traurig. Sie können ja nichts ändern.” Der Ball sei nun bei den Industrienationen: nur ein sofortiger Stopp der Klimaemissionen könne sein Land, ja die Welt, noch vor einer Katastrophe retten. Nichts zu tun sei “unmoralisch”, sagt er. Klimaskeptiker, die es besser wissen müssten, vergleicht er mit Kriminellen.

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Charles Langley, das Gesicht der Zukunft von Kiribati’s. Stolz, aber auch schüchtern und verängstigt. Es gibt Pläne, das Land zu evakuieren, wenn der Druck zu groß wird, die Zerstörungen zu signifikant. In Fidschi hat die Regierung von Kiribati Land gekauft. Auch die Möglichkeit, 32 Inseln aufzugeben und die gesamte Bevölkerung auf Tarawa zu konzentrieren, wird von Leuten wie Anote Tong genannt. Doch Charles Langley will nicht weg. “Ich bin hier geboren. Das ist meine Heimat.”

Alle Fotos: © Urs Wälterlin

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