Wie wollen wir Freundschaft leben? Dieser Frage sind die beiden Freundinnen Valerie Menke und Kristin Hollmann nachgegangen – und zwar auf einer ganz besonderen Reise: Um ihre Freundschaft zu zelebrieren, begaben sie sich auf ein Abenteuer in den Himalaya – und drehten einen Film („Together Free“) über ihre unvergessliche Reise. Dabei stehen nicht nur der Himalaya und die Erlebnisse, die sie dort sammelten, im Fokus des Films, sondern auch ihre Freundschaft. Denn im Anschluss an diese Reise trennten sich ihre Wege geografisch: Valerie zog nach Kalifornien. Seither sind die beiden Freundinnen tausende Kilometer voneinander getrennt.
Vielleicht rückt die Bedeutung von Freundschaft gerade in Zeiten von Social Distancing wieder in unseren Fokus: Was bedeutet uns Freundschaft, welchen Platz nimmt sie in unserem Leben ein, und wie und wodurch verändert sie sich im Laufe unseres Lebens? Sollte es Hochzeitsrituale für Freundschaften geben? Inwieweit zählen Freunde als Familie?
Valerie und Kristin berichten nicht nur von ihrem größten Abenteuer im Himalaya, sondern schenken uns auch einen Einblick in eine der engsten Beziehungen, die wir im Leben führen können: die Freundschaft.
Liebe Valerie, liebe Kristin, um eure Geschichte zu erzählen, müssen wir zunächst an den Anfang eurer Freundschaft gehen: Wie habt ihr beide euch kennengelernt?
Val: Ganz unromantisch bei einer WG-Besichtigung! Ich wollte zum Studium nach Hamburg ziehen und in Kristins Wohnung war ein Zimmer frei. Ich hatte sofort den Eindruck, dass wir ziemlich gleiche Vorstellungen vom Studentenleben in einer Großstadt hatten. Und unsere Werte und Interessen haben gestimmt: Wir sind zum Beispiel beide nach dem Abi ein Jahr lang gereist, waren Vegetarierinnen und hatten beide einen Hund. Das erste Date lief gut, könnte man sagen. Kristin hatte aber ungefähr 60 Interessenten und hat mich erst ein bisschen zappeln lassen – ich kann mich noch gut an die SMS erinnern, in der sie um mehr Bedenkzeit gebeten hat, sie konnte sich nicht zwischen mir und einem anderen Bewerber entscheiden. Am Ende hat sie auf ihren Hund vertraut, der mich lieber zu mögen schien als meinen “Konkurrenten”. Schon eine komische Vorstellung, wenn man sich überlegt, wo wir jetzt wären, wenn sie sich damals für den anderen entschieden hätte…
Wann und wodurch ist euch bewusst geworden, dass dies eine bedeutende Begegnung war?
Kristin: Ich glaube, dass wir einfach zur selben Zeit in der gleichen Lebensphase waren und eben Lust auf die gleichen Sachen hatten. Wir sind ganz organisch zusammen – und in die gleiche Richtung gewachsen. Die Tatsache, dass wir zusammengewohnt haben, hat mit Sicherheit als Katalysator gewirkt.
Val: Das denke ich auch! Es ist schon eine intensive Erfahrung zusammen zu wohnen. Wenn es Stress gibt, gilt: Aussprache oder Auszug. Wir haben uns einfach immer wieder für die Aussprache entschieden und die Zeit und Energie investiert, die es braucht. Ich habe in diesen Jahren unheimlich viel gelernt. Man wird so viel mit den eigenen Denkmustern und den Konfliktlösungsstrategien konfrontiert, die man Zuhause in der eigenen Familie gelernt hat. Und da musste ich mich dann das ein oder andere Mal fragen, ob das wirklich alles so Sinn macht, wie ich mir das überlege. Es ist ja nicht so, dass wir von Anfang an stets einer Meinung waren oder es heute sind. Ein wichtiger Faktor war, dass wir uns auf Augenhöhe begegnet sind und von Anfang an sehr respektiert haben. So ist aus “richtig” und “falsch” schnell “deine” und “meine” Meinung geworden. Ein bedeutender Unterschied.
Valerie, du lebst seit zwei Jahren in Kalifornien. Valeries Auswanderpläne haben euch damals veranlasst, ein ganz besonderes Abenteuer zu unternehmen, richtig? Das Ziel war eine Wanderung im Himalaya. Wie ist diese Idee entstanden?
Val: Genau, nachdem wir 10 Jahre lang zusammengewohnt hatten, stand für uns fest, dass wir den Abschluss dieser Ära gebührend würdigen möchten. Wir wollten etwas Großes unternehmen, ein Abenteuer, an einem Ort, an dem wir beide noch nie waren. Für mich war der Himalaya immer schon ein Traumziel. Die Landschaft, die Höhe, die Kultur – und dazu hatte ich auch noch eine persönliche Verbindung zur Sagarmatha Region: Mein Vater war immer ein großer Fan von Bergsteigern und hatte sich wenige Jahre zuvor den Traum von einer Wanderung zum Everest Basecamp erfüllt. Als er dann sehr plötzlich verstarb, formte sich in mir der Wunsch, auch einmal das Basecamp zu besuchen.
Eine besondere Verbindung, ein besonderes Ziel! Wie lang seid ihr unterwegs gewesen und wie sah eure Route schlussendlich aus?
Kristin: Wir sind zunächst nach Kathmandu geflogen und von dort mit einem Jeep auf abenteuerlichen Straßen nach Shivalaya gefahren, ein kleiner Ort am Fuße des Himalaya Gebirges. In Shivalaya haben wir dann unsere 28-tägige Wanderung begonnen. Und es ging direkt ziemlich anstrengend los: Jeden Tag galt es mindestens einen Pass zu überqueren, das bedeutete morgens direkt steil bergauf, ab dem Mittag dann steil bergab. Wir sind zwar die ganze Zeit unterhalb von 3500m geblieben, aber auch da haben wir die Höhe schon stark gemerkt. Mit dem Gewicht des Rucksacks auf den schmalen, steinigen Wegen – eine ziemliche Herausforderung. Als wir dann den Sagarmatha Nationalpark erreichten – in dem sich auch der Mount Everest befindet – sind wir dem „Three Passes Trek“ gefolgt, der im Uhrzeigersinn über Pässe von jeweils über 5000m Höhe und am Everest Basecamp vorbeiführt.
Das klingt nach einer herausfordernden Wanderung. Habt ihr euch speziell vorbereitet?
Kristin: Was die körperliche Fitness anging, waren wir gut in Form: Wir machen beide viel Sport und gehen mehrmals pro Woche laufen. Da wir beide in Hamburg gewohnt haben, war es aber schwer, speziell für die steilen Aufstiege zu trainieren. Da blieben uns hauptsächlich die Treppen an der Elbe. Und so sind wir, trotz guter allgemeiner Fitness, zu Anfang der Wanderung mental und körperlich an unsere Grenzen gekommen. Ich hatte vor dieser Reise sehr wenig Wandererfahrung. Die einzige mehrtägige Tour war ein langes Wochenende wenige Monate zuvor im Harz gewesen – kaum ein Vergleich! Ich weiß noch, wie wir am ersten Morgen von Shivalaya aus einen gefühlt senkrechten Berg hinauf kraxeln mussten, und ich mir einfach nicht vorstellen konnte, das acht Stunden pro Tag und fast einen Monat am Stück durchzuhalten. Nicht nur das Gewicht des Rucksacks und der schweren Schuhe auf den steilen Wegen war neu, auch galt es, die mentale Herausforderung zu meistern: zu wissen, dass man einen vollen Arbeitstag lang damit beschäftigt sein wird, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Das ist als Neuling erstmal ganz schön viel. Aber zum Glück habe ich relativ schnell meinen Tritt gefunden – aufgeben war für mich keine Option.
Und dann kam ja auch noch das Filmen hinzu…
Kristin: Das war auf vielen Ebenen ganz schön anstrengend, vor allem, da wir beide vorher vom Filmen so gut wie keine Ahnung hatten. Es ging nicht nur um das Technische oder Logistische – also die schweren Rucksäcke oder das Aufbauen und Einstellen der Kamera. Auch die Tatsache, dass wir gleichzeitig Erlebende und Dokumentierende waren, war eine Herausforderung. Manchmal verpassten wir es ganz einfach eine Situation zu filmen, weil wir ja selbst ein Teil von ihr waren, und dafür in dem Augenblick die Distanz zu uns selbst gefehlt hat. Im Nachhinein war es dann manchmal schade, dass wir genau den Moment nicht festgehalten haben. Aber gut, wir sind eben nicht mit einem großen Filmteam losgezogen – und zum Nachspielen sind wir leider zu schlechte Schauspieler!
Wann und wodurch ist die Idee aus dieser Reise einen Film zu produzieren überhaupt entstanden?
Val: Das war erstmal im wahrsten Sinne des Wortes eine Schnapsidee: Wir saßen bei einem Glas Wein zusammen und haben über unsere Reisepläne gesprochen, als wir irgendwann den Einfall hatten, eine Kamera mitzunehmen. Wir hatten uns schon seit einiger Zeit viele Gedanken über unsere Freundschaft gemacht und uns gefragt, warum sie irgendwie anders funktioniert als viele Freundschaften, die wir in unserem Umfeld erlebt haben. Da gab es zum Teil auch Reibungspunkte mit unserer Umgebung – unsere Freundschaft ist nicht immer von allen so akzeptiert worden. Man könnte vielleicht sogar sagen, dass wir manchmal das Gefühl hatten, uns verteidigen oder rechtfertigen zu müssen. Es gab bei mir z.B. alte Schulfreunde, die sich von der Tatsache verletzt gefühlt haben, dass da plötzlich eine Person einen höheren Stellenwert in meinem Leben einnimmt als sie, obwohl wir uns doch schon länger kannten. Und während viele unserer Freunde es mit Mitte zwanzig kaum erwarten konnten, endlich mit dem Partner in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen, waren wir – trotz festem Freund – total glücklich in unserer Mädels-WG. Wir sind eine hohe- und meist sogar DIE Priorität im Leben der anderen geblieben – ein nicht unbedingt konventionelles Konzept. Die daraus entstandenen Fragen und Gedanken zum Thema Freundschaft fanden wir dann so spannend, dass wir das Ganze in irgendeiner Form festhalten wollten. Die Schriftform wäre thematisch naheliegend gewesen, aber irgendwie hat uns die Kamera mehr gereizt – natürlich auch, weil der Himalaya visuell so beeindruckend ist.
Der Titel eures gemeinsamen Film-Projekts lautet: Together Free. Zusammen frei (sein). Würdet ihr erläutern, was er für euch bedeutet und warum ihr ihn für euer Projekt ausgewählt habt?
Kristin: Wir haben für uns festgestellt, wie viel uns die Nähe zueinander gibt und wie viel uns unsere Freundschaft immer wieder wachsen lässt. Und wie uns die Sicherheit, die wir einander durch unser tiefes Bekenntnis geben, dazu beflügelt, Risiken einzugehen, Neues zu entdecken und uns so am Ende freier zu fühlen als allein.
Commitment und Freiheit – Wir wussten schon ziemlich lange, dass das die zwei Schlagworte unserer Freundschaft sind, aber wir haben selbst lange gebraucht, um zu verstehen, dass das keine Gegensätze sind. Ich versuche mal, das zu erklären: Der erste Schritt ist für uns, sich gegenseitig die Freiheit einzugestehen. Und die Freundin, die Weggefährtin, diese Person, mit der man so viel Zeit verbringt und der man so viel Energie und Aufmerksamkeit gibt, bewusst auszuwählen. Und dann ist die da Kunst, die andere wirklich als freies Individuum zu begreifen – mit eigenen Stärken und Schwächen, Wünschen und Bedürfnissen. Und ihr so den Raum zu geben zu wachsen und sich weiterzuentwickeln. Und zuletzt ist da die Freiheit, die man fühlt, wenn man in der Gemeinschaft mit der anderen nichts zu verstecken hat. Nur wenn wir uns trauen, auch die dunklen Seiten zu zeigen – jene, die offenbaren, dass es auch eine „schlechteste Version“ unser Selbst gibt – sind wir ehrlich mit uns selbst und dem anderen gegenüber, und erleben wirkliche Nähe. Unserer Meinung nach ist es möglich, gerade in der Nähe zu anderen, eine so mächtige persönliche Freiheit zu finden – eine Freiheit, die weit über die einfache Unabhängigkeit hinausgeht.
Val: Das stimmt. Ich denke viele von uns, die gern Abenteuer draußen erleben, hatten irgendwann einmal das Bedürfnis, eine Reise ganz allein zu machen, „frei“ und unabhängig sein, schauen, wie man allein zurechtkommt. Das finde ich auch total wertvoll – ich selber brauchte diese Erfahrung auch – oder man könnte sagen: ich musste mir das beweisen. Aber so schwer das Alleinsein manchmal ist, finde ich ein wahrhaftiges Gemeinsam, eine Partnerschaft auf Augenhöhe, mental nochmal wesentlich herausfordernder. Gemeinsam Frei zu sein ist so zum Motto unserer Freundschaft, und zum Ziel unserer persönlichen Reise geworden – und nun auch der Titel des Films.
Wie habt ihr das ganze Filmequipment mitnehmen können?
Val: Da haben wir lange hin und her überlegt, es war unsere erste Reise in solche Höhen und wir wussten einfach gar nicht, ob es überhaupt machbar sein würde, zusätzlich zu dem eigenen Gepäck ca. 15kg Kameraequipment zu tragen. Da die Stromversorgung in vielen Orten nur über Solarstrom läuft, und wir nicht sicher sein konnten, wie oft wir unsere Kamera-Akkus würden laden können, und wir zudem Angst davor hatten, dass die Akkulaufzeit wegen der Kälte geringer wäre, entschieden wir einiges an Reserve-Akkus mitzunehmen. Dazu kamen Powerbanks, Festplatte und SD-Karten für Sicherheitskopien, Ladestationen und Kabel… das hatten wir anfangs doch unterschätzt.
Auch wenn uns der Gedanke erst befremdlich erschien, haben wir uns entschieden, das Projekt im Team mit einem Träger und Guide zu machen. Im Nachhinein eine absolut richtige Entscheidung. Natürlich hätten wir die Pässe auch irgendwie mit 25kg auf dem Rücken geschafft – wenn auch mit Sicherheit wesentlich langsamer. Aber die Logistik des Filmens hat einen großen Teil des Tages und unserer Energie in Anspruch genommen, mental sowie körperlich. Denn die passenden Motive zu finden, das ständige Auf- und Abbauen der Kamera und einige Strecken doppelt laufen zu müssen, hat viel von uns gefordert. Da war es hilfreich, dass die Jungs wussten, in welcher Herberge es das beste Dal Bhat gab, oder ob wir uns vorm nächsten Wetterumschwung lieber beeilen sollten, anstatt noch eine Szene zu drehen.
Inwieweit haben euch euer Guide und der Träger noch einmal einen anderen Blick auf das Himalaya-Gebirge oder Nepal offenbart?
Val: Durch die beiden hatten wir die Möglichkeit kulturell viel tiefer einzutauchen. Unser Guide Tek sprach so gut Englisch, dass wir viel über die Kultur, aktuelle Politik und ganz generell den Alltag in den Bergregionen und Nepal gelernt haben.
Kristin: Wie Val schon meinte hat vor allem Tek sehr gut Englisch gesprochen. In den meisten Tea Houses, in denen wir übernachten haben, konnte man sich zwar mit Englisch gut verständigen, aber ein tiefergehendes Gespräch zu führen war eher schwierig. Tek war total offen,kam schnell mit allen Gastwirten oder Bauern ins Gespräch und hat gerne für uns übersetzt. In den Gesprächen ging es oftmals um das Erdbeben von 2015. Gerade in den abgelegenen Gegenden, die wir in der ersten Woche durchwanderten, sah man noch viele Häuser, die in Trümmern lagen. So erfuhren wir vieles, das wir sonst nie erfahren hätten. Jeder hatte etwas verloren, einen geliebten Menschen, sein Haus oder Tiere. Und es ging auch um aktuelle Probleme, zum Beispiel darum, dass die neuen Bauverordnungen, welche die Häuser erdbebensicher machen sollen, gleichzeitig zum Teil so hohe Kosten verursachen, dass sich die Bauern kaum leisten können, sich daran zu halten.
Val: Auch die kulturellen Einblicke waren sehr spannend. Zum Beispiel ist uns immer wieder aufgefallen, wie groß der Zusammenhalt der Menschen ist, und wie viel Zeit sich die Menschen dort füreinander nehmen. Jeder hat Zeit für ein kurzes Stehenbleiben und Quatschen, alles fühlte sich ein bisschen ruhiger und fröhlicher an als bei uns in der norddeutschen Großstadt. Und ich habe mich auch über die Stärke und Präsenz der Frauen dort gefreut. Viele Herbergen wurden von Frauen geführt – freundlich, aber bestimmt und selbstbewusst, ganz anders als ich es von Erzählungen über Nepal gehört hatte. Wir haben erfahren, dass die Kultur in den Bergdörfern eine ganz andere ist, als die der traditionellen Hindus und dass Frauen hier oft eine starke Stellung haben.
Ihr habt in privat geführten Herbergen, den sogenannten Tea Houses übernachtet. Wie kann ich mir eine solche Herberge vorstellen?
Kristin: Das war tatsächlich ein bisschen so, wie bei einem Hüttentrekking in den Alpen. Die Tea Houses sind einfache Herbergen, geführt von einer Familie, die meist im gleichen Haus wohnt. Die Zimmer sind einfach, unbeheizt und bestehen eigentlich nur aus zwei Betten mit jeweils einem Kopfkissen. Fließendes Wasser und Toilette teilen sich alle Zimmer desselben Gangs. Aber die Hauptsache ist, dass es heißen Tee und warmes Essen gibt. Der „Speisesaal“ ist eigentlich immer geräumig genug, um allen Gästen Platz zu bieten, und während es draußen nach dem Sonnenuntergang eisig kalt wird, kann man drinnen (zumindest in eine warme Jacke eingepackt) recht nett neben dem mit Yak Dung beheizten Ofen verweilen.
Wie sah ein typischer Tagesablauf für euch aus?
Kristin: Wir sind morgens mit dem Sonnenaufgang aufgestanden. In den tiefer gelegenen Gegenden zu Beginn der Reise haben wir den Tag mit einer kurzen Yoga-Einheit draußen begonnen. Das war nicht nur für den verspannten Rücken schön, solche Rituale helfen mir auf Reisen auch immer, mich schnell an einem neuen Ort zuhause zu fühlen. Das haben wir aber ab einer bestimmten Höhe wegen der Kälte am Morgen nicht mehr durchgehalten.
In der Herberge gab es dann ein einfaches, aber gutes und vor allem warmes Frühstück: meist eine Art Porridge. Dann haben wir immer eine ganze Weile gebraucht, um das Filmequipment richtig zu packen und zu sortieren. Damit sich die Akkus bei den niedrigen Temperaturen nicht selbst entladen, haben wir sie in unseren Schlafsäcken eingewickelt transportiert. Dann ging die Wanderung weiter. Die Etappen waren an normalen Tagen auf 5-7 Stunden angelegt, das Filmen hat aber immer einiges an zusätzlicher Zeit in Anspruch genommen. So waren wir meist eher 8-10 Stunden unterwegs. Unterwegs gab es aber immer auch weitere Teehäuser, sodass wir mittags irgendwo Pause machen konnten. Ein heißer Ingwertee hat da Wunder gewirkt und wir waren happy, nicht noch zusätzlich Lebensmittel tragen zu müssen. Abends in der Lodge haben wir dann das Gefilmte angesehen – gerade am Anfang haben wir immer wieder geschaut, wie wir unser Filmen verbessern können und Sicherheitskopien des Materials auf eine Festplatte überspielt. Da kam keine Langeweile auf, wir waren den ganzen Tag lang gut beschäftigt.
Val: Das stimmt! Aber mir ist schnell aufgefallen, wie sehr ich diese Form des Reisens mag. Nicht nur beobachten oder Erlebnisse konsumieren, sondern selber erschaffen und kreativ sein. Dabei bin ich mehr im Moment, als wenn ich nur beobachte. Ich mag diese positive Form der Produktivität, ohne Druck, aber im Flow.
Ich bin sicher, ihr habt viele Highlights unterwegs erlebt. Gibt es einen schönen Moment, der besonders hervorsticht?
Val: Für mich war es ein Moment der Stille im Everest Basecamp. Wir hatten im Voraus von vielen Seiten gehört, dass sich ein Besuch des Basecamps nicht lohnen würde: “Man sieht von dort ja nicht mal den Everest!”. Wir entschieden uns trotzdem dazu weiterzugehen, obwohl ich von der Höhe starke Kopfschmerzen hatte. Wir mussten uns beeilen, das Wetter war nicht ideal und wir wollten ankommen, bevor es später am Tag noch stärker schneien würde. Im Basecamp war die Stimmung dann irgendwie magisch: der Schnee hüllte alles in eine seltsame Stille und ich hielt einen Moment inne. Die Wanderung zum Basecamp war lange der große Traum meines Dad‘s gewesen und er hatte noch Jahre später in Erinnerungen geschwelgt. Ich fühlte mich ihm dort sehr nahe, verbunden durch dieses gemeinsames Erlebnis, wenn auch erst nach seinem Tod.
Ganz abgesehen von dieser persönlichen Geschichte fand ich die Energie des Ortes kraftvoll. Mir ist klar, wie kontrovers das Thema Everest-Besteigung ist. Aber letztendlich weckte es Demut und Ehrfurcht in mir, die weit gestreuten gelben Zelte der Bergsteiger auf dem Gletscher zu sehen. Jedes Zelt ist ein Symbol für einen Menschen, der so viel Zeit, Energie und Ressourcen auf dieses eine Ziel fokussiert, und dessen Erreichen trotz alledem eher unwahrscheinlich als wahrscheinlich ist. Davor habe ich Respekt.
Kristin: Na gut, wenn du da so episch vorlegst, muss ich mit einer lustigen Geschichte gegensteuern. Nach der Überquerung des Kongma La mit über 5500 m Höhe und nach 11 Stunden Wandern, sind wir vollkommen erledigt, aber auch glücklich in Dingboche angekommen. Wir hatten den letzten Pass der Reise bewältigt und wussten, von nun an würde es nur noch bergab gehen. Auf dem Weg zu unserem Teahouse hatten wir in diesem kleinen Örtchen von vielleicht 15 Häusern ein Schild “Bakery” entdeckt. Kurz die Rucksäcke abgeworfen und umgezogen standen wir wenige Minuten später vor einer gut sortierten Auslage verschiedenster selbstgemachter Backwaren und konnten unser Glück kaum fassen. Nach Wochen, in denen wir fast nur Reis und Kartoffeln bekommen konnten, und in denen man wegen der Höhe eh gar keinen Appetit hatte und sich jeden Bissen mühsam reinzwängen musste, wussten wir gar nicht, was wir zuerst essen wollten. Ich glaube, wir haben uns quer durch das Sortiment gegessen, bis wir uns gegenseitig ins Gesicht sahen und in lautes Gelächter ausbrachen. Unsere Münder und Finger schokoladenverschmiert, und in der Hand noch den Rest Schokocroissant haltend, wurde uns klar, wie anstrengend die letzten Wochen wirklich gewesen waren und wie viel Energie uns allein die Höhe gekostet hatte. Es war, als ob wir, jetzt wo wir endlich wieder unterhalb von 4000m Höhe waren, aus einer Art Energiesparmodus aufwachten. Endlich konnten wir wieder schmecken, riechen und lachen. Endlich wieder Energie für – ich weiß gar nicht so richtig, wie ich das nennen soll – vielleicht die reine Lust am Leben. Ich glaube, ich hatte den Lachanfall meines Lebens.
In einem Interview habt ihr erzählt, dass ihr eine Filmpassage über die Frage, ob es eine „Freundschafts-Hochzeit“ geben sollte, oder nicht, etwas abschwächen musstet, da sie scheinbar nicht so gut ankam. Was hatte es mit dieser Idee auf sich?
Val: Ich glaube, das Thema Hochzeit bzw. Ehe ist einfach von allen Seiten mit vielen Emotionen beladen. Mal übermäßig romantisiert, mal auf den eigenen Vertrag reduziert. Wir wollten im Film hauptsächlich fragen, warum so viele Menschen Nähe und Sicherheit vor allem in einer Liebesbeziehung suchen. Warum zieht man nicht in Erwägung, sich genauso langfristig an einen Freund zu binden, wie man sich durch Heirat an einen Liebespartner bindet? In einer früheren Version des Films haben wir diese Gedanken vielleicht etwas zu plump formuliert und das Testpublikum auf beiden Seiten abgeschreckt…Wir haben dann versucht, das Ganze sanfter zu auszudrücken, den Fokus weniger auf die starre, vertragliche Bindung zu legen, sondern mehr über die Vorteile zu reden, die wir in einem langfristigen Bekenntnis sehen. Unserer Meinung nach kann eine gewisse Tiefe in einer Beziehung nun mal erst nach einiger Zeit entstehen. Man muss sich kennenlernen, sich vertrauen lernen, um die andere an den eigenen Stärken und Schwächen teilhaben zu lassen und sich zu trauen, all seine Facetten zu zeigen. Dabei kann es auf ganz vielen Ebenen helfen, zu wissen, dass man jemanden auf seiner Seite hat, der langfristig zu einem steht, in guten wie in schlechten Zeiten. So hatten wir eben auch das Ideal einer guten Ehe verstanden, da lag für uns der Vergleich nahe.
Kristin: Dabei wollen wir Freundschaft auch gar nicht in Konkurrenz zu Liebesbeziehungen stellen. Es geht uns mehr darum hervorzuheben, dass Freundschaft – neben zum Beispiel der Ehe – ein weiterer Weg sein kann, in einer Gemeinschaft Glück zu finden. Und vielleicht hat Freundschaft eben auch ein paar Vorteile gegenüber Liebesbeziehungen. Außerdem kann eine Hochzeit ja zum Beispiel auch aus ganz verschiedenen romantischen Gründen erfolgen, zum Beispiel, weil man der ganzen Welt mitteilen möchte, dass man plant, mit diesem Menschen an seiner Seite sein Leben zu leben und gemeinsam zu planen. Und genau mit dieser Absicht könnte man doch auch einen Freund heiraten.
Valerie, du lebst seit zwei Jahren in Kalifornien. Wie hat sich dein Umzug auf eure Freundschaft ausgewirkt?
Val: Ach, da hat sich schon einiges verändert, und das war auch ein ganz schöner Lernprozess. Da wir von Anfang an am Film gearbeitet haben, haben wir zumindest 2-3 Tage die Woche mehrere Stunden pro Tag über Facetime und Zoom gesprochen. Gleichzeitig passierte es uns dann aber oft, dass wir dabei das Private aus den Augen verloren haben und der Fokus zu sehr auf den To Do’s zum Film lag. Am Anfang war das noch weniger ein Problem, da Kristin 2019 ebenfalls mehrere Monate in Kalifornien gelebt hat – da war dann sofort wieder alles beim Alten. Als Corona kam und das Reisen zwischen den Ländern schwieriger wurde, wurde es auch für uns schwieriger. Ich glaube, was mir dauerhaft nicht leicht fällt, ist, dass man bei einer Fern-Besten-Freundschaft, genau wie bei einer Fernbeziehung, irgendwann aufhört gemeinsame Erlebnisse zu erschaffen. Man kann sich das Erlebte nur noch erzählen, aber man erlebt nicht mehr gemeinsam. Das war für uns und unsere Freundschaft komplett neu. Das Erzählen ist natürlich auch schön, aber es bedarf insgesamt mehr Aufwand – denn dadurch, dass man sich nicht mehr ganz selbstverständlich jeden Abend über den Weg läuft, sondern Telefonzeiten über mehrere Zeitzonen finden muss, ist es auch mehr „Arbeit“. Ich würde nicht sagen, dass sich an der Tiefe unserer Freundschaft etwas geändert hat, aber wir müssen im Alltag mehr aufpassen. Aufpassen, den anderen weiterhin zur Priorität zu machen und uns jeden Tag aufs Neue bemühen, der beste Partner für den anderen zu sein. Um eine gemeinsame Zukunft zu haben, müssen wir ein Teil der Gegenwart des anderen sein, sonst machen wir einander zur Vergangenheit.
Kristin: Ich glaube, wichtig ist, dass wir uns selbst immer wieder überprüfen, und schauen, ob wir noch nach unserem eigenen Konzept für wahre Freundschaft leben. Wir haben einmal aufgeschrieben, was für uns die Grundpfeiler von tiefer Freundschaft sind. Dazu gehören zum Beispiel, dass wir einander auf Augenhöhe begegnen, die Beziehung wirklich wollen und auch dementsprechend handeln. Dass wir offen miteinander sind und der anderen die ganze Wahrheit erzählen. Dass wir gemeinsam wachsen und empathisch denken. Nach diesen Grundpfeilern zu handeln ist manchmal schwer, gerade wenn es bei einer mal nicht so gut läuft, oder die Lebensumstände so unterschiedlich sind – zum Beispiel durch den unterschiedlichen Umgang mit Covid-19 in Deutschland und Kalifornien.
Kristin, hast du jemals darüber nachgedacht auch nach Kalifornien zu ziehen?
Kristin: Na klar! Kalifornien ist landschaftlich betrachtet ein Traum. Ich mag den Lifestyle und ich mag auch die Sonne. Und dass Valerie und Baird (ihr Freund) dort wohnen, ist natürlich das absolute i-Tüpfelchen für mich. Ich möchte mittelfristig weg aus Deutschland und einen anderen Alltag kennenlernen. Valerie wohnt in Santa Barbara – die Berge auf der einen Seite, das Meer auf der anderen, die Sonne scheint fast immer. Das lässt einem viele Möglichkeiten für Outdoorsport und Trips. Darauf habe ich gerade Lust. Bisher war die Zeit noch nicht reif für einen Umzug und letztlich weiß man ja nie so genau, was kommt. Aber ich wünsche mir, dass wir bald wieder an einem Ort (…und in einer Kommune, einem Haus, auf einem Schiff…) zusammenleben und auch wieder unsere Alltags-Abenteuer teilen.
Wo und wann wird euer Film zu sehen sein?
Val: Wir haben uns gerade entschieden, ein einzelnes virtuelles Premieren-Event am 25.3.2021 zu streamen: live mit anschließendem Q&A. Wir stehen mit dem Film einfach schon seit Monaten in den Startlöchern und hatten uns total auf eine Kinotour mit Q&A im Anschluss gefreut – denn das Thema Freundschaft hat so viel Potential für einen Austausch! Coronabedingt wissen die Kinos aber leider im Moment noch gar nicht, wann es weitergeht. Wir brennen darauf den Film endlich zu veröffentlichen und möchten so zumindest ein einzelnes Online-Event streamen. Sobald die Kinos wieder öffnen, geht es dann hoffentlich direkt auf Tour!
Wie sehen eure Wünsche – neben einer gemeinsamen Kinotour – für die Zukunft aus, was steht auf eurer Agenda?
Kristin: Uns fällt noch einiges zum Thema Freundschaft ein, und wir haben wirklich Lust, weiter zu dem Thema zu denken, zu reden und zu diskutieren. Je nachdem, wie das Jahr so weitergeht, in Bezug auf die Kinotour und Events allgemein, schauen wir ganz offen in alle Richtungen: Buch, Podcast, da gibt es ganz viel, was wir gern ausprobieren würden – mal schauen, wo uns 2021 hinführt!
Wir sind sehr gespannt, wie es bei euch weitergeht und drücken euch für eure Pläne fest die Daumen! An dieser Stelle sei auch schon einmal gesagt: Valerie und Kristin werden demnächst auch im Weltwach Travel Talk zu Gast sein – in unserem Livestream-Format auf Instagram! Und für die Mitglieder unseres Supporters Club gibt es im Anschluss eine Podcast-Pulsfolge mit den beiden! In diesem Gespräch werden sie uns noch mehr von ihrem abenteuerlichen Trip in den Himalaya berichten!
Lieben Dank Valerie und Kristin, wir freuen uns, euch bald live begrüßen zu können!