Keine andere indische Sehenswürdigkeit lockt Einheimische und Touristen in solchen Scharen an wie das märchenhafte Taj Mahal in Agra.
Text und Fotos von Michael Scholten.
Prinz William und Herzogin Kate absolvierten das volle Programm. Sie trafen Indiens Premierminister und Bhutans König, spielten Kricket mit Straßenkindern, fütterten ein Baby-Nashorn, meditierten im Gebirgskloster und erfüllten weitere repräsentative Aufgaben. Doch den Höhepunkt ihrer einwöchigen Indien-und-Bhutan-Reise hoben sie sich für den Schluss auf: den Besuch des Taj Mahal, Indiens weltberühmtes Liebesdenkmal.
Großbritanniens angehendes Königspaar nahm für das offizielle Pressefoto auf einer weißen Bank Platz. Die Symbolkraft war nicht zu übertreffen. Hatte doch Williams Mutter, die verstorbene Lady Di, im Jahr 1992 an derselben Stelle vorm Taj Mahal gesessen. Ganz allein. Ohne ihren Gatten Prinz Charles. Das Foto ging um die Welt und verdeutlichte den maroden Zustand der royalen Ehe.
Im April 2016 veröffentlichten nun alle Magazine und Zeitungen das Foto von William und Kate. Der Bildausschnitt war gut gewählt. Denn er zeigte nur das weiße Hauptgebäude des Taj Mahal und sparte die vier Türme aus, von denen drei wegen Restaurierungsarbeiten eingerüstet waren. Nicht nur der Zahn der Zeit nagt an der märchenhaften Anlage, auch die Industrie- und Autoabgase verfärben den ehemals blütenweißen Marmor gelb. Busse und Pkw dürfen sich dem UNESCO-Weltkulturerbe schon seit Jahren nur noch bis auf zwei Kilometer nähern.

Morgens um sechs Uhr, wenn die Ticketschalter öffnen, versammeln sich große Menschenmengen an den Eingängen des Taj Mahal. Inder zahlen 40 Rupien Eintritt, westliche Besucher stolze 1000 Rupien. Dieser Aufschlag wird mit einer ominösen Steuer begründet, die selbst bei großzügigstem Wohlwollen keinen rechten Sinn ergeben will. Aber die indische Regierung weiß halt ganz genau: Jeder Reisende, der nach Agra kommt, will das Taj Mahal sehen und zahlt dafür bereitwillig die umgerechnet 14 Euro.

Seit einer Bombendrohung im Jahr 2006 sind die Sicherheitsmaßnahmen stark verschärft worden. Soldaten bewachen das Gelände, im weiten Umkreis herrscht Flugverbot. Rucksäcke und Taschen dürfen nicht mitgebracht werden, Trinkwasser ist nur in kleinen Flaschen erlaubt. Gerade an besucherstarken Tagen stauen sich die Massen an den Sicherheitsschleusen. Dank der VIP-Behandlung mussten sich William und Kate natürlich nicht im britischen Volkssport des Schlangestehens üben. Obendrein wurde Indiens größte Touristenattraktion für den königlichen Besuch zeitweise geschlossen. Kein normalsterblicher Besucher sollte die Sicherheit gefährden oder den Hintergrund des Pressefotos stören.
Der Name Taj Mahal heißt frei übersetzt „Krone des Ortes“. Der Großmogul Shah Jahan ließ das 58 Meter hohe und 56 Meter breite Mausoleum für seine 1631 verstorbene Hauptfrau Mumtaz Mahal erbauen. Es steht auf einer 100 mal 100 Meter großen Marmorplattform, vor der sich 18 Hektar Rasen und ein langes Wasserbecken erstrecken. Mehr als 20 000 Handwerker aus allen Teilen Süd- und Zentralasiens erbauten das Taj Mahal in den Jahren 1631 bis 1648. Circa tausend Elefanten trugen das Baumaterial aus Indien und einigen Nachbarländern herbei. Die Oberaufsicht hatte der Perser Abu Fazel, der die persische Architektur gekonnt mit indischen Elementen paarte.


Der britische Schriftsteller Aldous Huxley („Brave New World“) zog einst den Zorn der Inder auf sich, als er in einem seiner vielbeachteten Essays bemängelte, das Taj Mahal wirke grobschlächtig, schief und insgesamt hässlich. In der Tat muss man kein Fachmann sein, um zu erkennen, dass die vier Minarette etwas schief stehen. Das ist aber kein Versehen, sondern Taktik. Sollte es zu einem Erdbeben kommen, minimiert die leichte Neigung nach außen die Gefahr, dass die Türme direkt ins Mausoleum stürzen. Vielmehr würden sie vom Heiligsten wegfallen.
Muslime nutzen das Taj Mahal als Gebetsstätte. Frisch vermählte indische Paare nutzen es als beliebte Fotokulisse, da der Besuch ihre Liebe dauerhaft stärken soll. Im Mausoleum herrscht striktes Fotoverbot, doch kaum ein Besucher hält sich daran. Dabei unterscheiden sich die Marmorreliefs und die Einlegearbeiten im Innern kaum von den feinen Arbeiten an den Außenwänden. Nur wer das Glück hat, einem mit kleiner Taschenlampe bewaffneten Reiseleiter über die Schulter schauen zu können, sieht schnell die Besonderheit im Innern des Mausoleums. Dort sind 28 verschiedene Arten von Edelsteinen und Halbedelsteinen in den Marmor eingelassen worden. Sie funkeln im künstlichen Licht.
Bis heute hält sich die nie bestätigte Legende, dass der Großmogul Shah Jahan eine Kopie des Taj Mahal geplant hatte. Die sollte aus schwarzem Marmor auf der anderen Seite des Flusses Yamuna gebaut werden und als sein eigenes Grabmal dienen. Dazu kam es nicht. Um die ungezügelten Ausgaben des Großmoguls zu stoppen, entmachtete ihn sein eigener Sohn Muhammad Aurangzeb Alamgir und steckte den Vater ins Gefängnis. Dort starb er und wurde 1666 neben seiner Gattin beigesetzt. Dieses Grab stört die ansonsten perfekte Symmetrie des Taj Mahal. Gut unterrichtete Reiseleiter wissen, dass die Gräber, vor denen sich die Besucher versammeln, in Wahrheit nur Scheingräber sind. Der Großmogul und seine heiß geliebte Mumtaz Mahal wurden zur Sicherheit in einer darunterliegenden Krypta beigesetzt.
Eine weitere Legende besagt, dass die britischen Kolonialherren unter Gouverneur Lord William Bentinck im 19. Jahrhundert planten, das damals stark vernachlässigte Taj Mahal Stück für Stück nach London zu bringen und zu versteigern. Laut Bentincks Biograph John Rosselli galt dieser Plan aber nur für archäologischen Funde aus Agra und für Teile des Roten Forts. Diese Festungs- und Palastanlage steht unweit vom Taj Mahal und erfreut sich ähnlich großer Besucherströme. Die UNESCO erklärte das Rote Fort 1983 zum Weltkulturerbe, einige Bereiche werden aber vom indischen Militär benutzt und sind deshalb für Touristen gesperrt.


Der Grundstein der ehemaligen Mogul-Residenz wurde im Jahr 1565 gelegt, als Akbar der Große die Hauptstadt von Delhi nach Agra verlegen ließ. Mehrere Nachfolger, vor allem der Taj-Mahl-Bauherr Shah Jahan, erweiterten die Festung. Während unter Akbar vorwiegend roter Sandstein aus Rajasthan verbaut wurde, bevorzugte Shah Jahan weißen Marmor mit Verzierungen aus Glas und Halbedelsteinen. Das Fort verlor schnell an Bedeutung, weil die Hauptstadt schon 1648 wieder nach Delhi verlegt wurde.
Die Anlage steht erhöht auf einer natürlichen Böschung und zum Teil auf einem von Menschenhand aufgeschütteten Hügel am Ufer des Flusses Yamuna. Der Grundriss hat die Form eines Halbmondes, die repräsentativen Prachtbauten, Moscheen und Gärten werden von einer bis zu 21 Meter hohen und insgesamt 2,4 Kilometer langen Mauer geschützt. Nur zwei Haupttore, das Delhi-Tor und das Lahore-Tor, gewähren Einlass in das weitläufige Gelände.
Das Rote Fort hat zwar die knalligere Farbe, verblasst aber im direkten Vergleich zum Taj Mahal. Und so sieht man nicht wenige Besucher, die ihre Kameras weniger auf die Audienzhallen und verzierten Säulen des Forts richten, sondern immer wieder in die Ferne knipsen. Denn der diesig verklärte Blick auf das 2,5 Kilometer entfernte Taj Mahal darf in keinem Fotoalbum fehlen.
