Role Model Ruanda – Wie man mit Kaffee die Welt ein kleines bisschen besser macht (Reportage Teil 3)

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Von Miriam Spies.

„Du kannst dem entkommen, was hinter dir herläuft, aber nicht dem, was in dir läuft.“ (Sprichwort aus Ruanda)

Kaffeeland Ruanda – Wie viel Verantwortung in einer Tasse Kaffee steckt 

Willkommen zum dritten Teil meiner Ruanda-Reportage. Schön, dass ihr wieder dabei seid. Wenn es in den ersten beiden Teilen recht optimistisch emotional zuging, wird es heute eher sachlich. Obwohl ich während unserer Delegationsreise leider nicht die Gelegenheit hatte, mir Kaffeekooperativen, -plantagen oder -weiterverarbeitungsbetriebe anzuschauen und vor Ort mit Bauern oder Arbeitern zu reden, ist Kaffee ein Thema, das mich schon länger beschäftigt. Und da Ruanda auch ein Kaffeeland ist, fand ich es naheliegend, mich an dieser Stelle damit auseinanderzusetzen. Verzeiht mir die vielen Zahlen, aber sie schienen mir bei einem so wichtigen Thema nötig. (Im nächsten und letzten Teil wird es dann um Berggorillas gehen – Emotionsfeuerwerk garantiert.)

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Coffee makes the world go around

Was des Deutschen Lieblingsgetränk ist, taugt nicht gerade als Millionenfrage. Kaffee, was sonst. Während der Pro-Kopf-Konsum von Bier in Deutschland 2018 bei 102 Litern und von Wasser bei 154 Litern lag, lag der von Kaffee bei 166 Litern (Quelle: Kaffeereport 2020 von statista, Tchibo      und brand eins). Für die einen ist er ein Genussmittel, für die anderen ein Wachmacher. Espresso mit Zitrone soll Wunder wirken gegen Kopfschmerzen. Kaffee und Kuchen gehören für manchen zusammen wie Messer und Gabel. Coffee & Cigarettes ist nicht nur der Titel eines Films, sondern in manchen Kreisen ein beliebtes Frühstück und so eine Art Lebensphilosophie. 

Kaffee ist so sexy wie George Clooney, so hip wie Starbucks und so vielfältig wie seine Konsumenten. Kaffee ist nicht einfach nur irgendein Heißgetränk. Kaffee ist Lifestyle. Wir machen uns eine Menge Gedanken darüber, ob wir mehr der Vollautomat-, der Kapsel-, der Pads- oder der Handfiltertyp sind, wie viel Prozent Fett die Milch für den perfekten Kaffeegenuss haben darf, ob es Kuh-, Hafer- oder Sojamilch sein soll und ob Zucker überhaupt hineindarf, ohne den Geschmack zu ruinieren. Worüber wir eher selten nachdenken, ist, wo unser All Star eigentlich herkommt. Wir alle kennen die verklärenden Bilder auf den Kaffeepackungen, auf denen erotisch rote Kaffeekirschen von sanft lächelnden Frauen in atemberaubendem Panorama irgendeines Hochgebirges einzeln und mit Liebe gepflückt werden. Lebensmittelvermarktungszynismus, wie man ihn auch bei Milchpackungen mit glücklich grasenden Kühen auf weitläufigen Wiesen, bei Wurst in Form von lachenden Gesichtern oder in Bärenform oder ähnlichem findet. Das scheint beim Verdrängen der Frage zu helfen, unter welchen Bedingungen unser Kaffee (unsere Milch, unsere Wurst) eigentlich produziert wird. Dabei ist es alles andere als ein Geheimnis, dass bei den Kaffeebauern in den Ernteländern finanziell kaum etwas hängenbleibt. Das eklatante Missverhältnis zwischen dem Genuss, den unsereins beim Trinken einer Tasse guten Kaffees empfindet, und dem Leid, das durch die Produktionsbedingungen des Rohkaffees in den Anbauländern entsteht, scheint unser Gewissen nicht sonderlich zu beeindrucken. Was kann man als Konsument, als letztes Glied in der Kaffeekette, schon gegen das Agieren der Großkonzerne machen? Außerdem hat sich da ja auch viel getan. Es gibt mittlerweile etliche Siegel, die einen fairen Handel versprechen. Was genau das im Einzelfall bedeuten soll, ist die eine Sache. Die andere Sache aber ist die Nachfrage, also unser Konsumverhalten.

„Mit Fair Trade erreichen wir leider nur einen sehr kleinen Teil des Marktes. Vielen Kaffeefarmen wurden Fair-Trade Preise versprochen, doch erhalten haben sie diese      nie, weil einfach nicht genügend Fair-Trade-Kaffee verkauft werden konnte. Wir haben Fair Trade die vergangenen 20 Jahre erprobt und mit dem Konzept nicht einmal zehn Prozent des Marktes erobert“, sagt Jeffrey Sachs, Ökonom und promovierter Volkswirt der Harvard University, der im Auftrag des „World Coffee Producers Forum“ gemeinsam mit Kollegen des Columbia Center on Sustainable Investment sowie der London School of Economics einen Report dazu veröffentlicht hat.

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Eine umfangreiche, deutschlandweite Studie hat untersucht, woran es hapert. Generell wird in Haushalten mit Kindern häufiger Fair-Trade-Kaffee getrunken, als in kinderlosen Haushalten. 89,1 % der Befragten haben angegeben, täglich „konventionellen“ Kaffee zu trinken. Nur 34,1 % können von sich behaupten, täglich Fair-Trade-Kaffee zu trinken. Interessant sind die Gründe, die uns zurückhalten. 57,6 % der Kaffeetrinker mit Hauptschulabschluss ist der Kaffee schlichtweg zu teuer. Unter den Akademikern sind es 57,2 %. Platz zwei der Gründe nimmt die Aussage ein, dass nachhaltiger Kaffee für die Konsumenten keinen Mehrwert habe. An dritter Stelle steht die Meinung, es sei übertrieben, bei Kaffee auf Nachhaltigkeit zu achten, dicht gefolgt von der Angabe, dass man gar nicht wisse, wo man nachhaltigen Kaffee überhaupt bekommen könne. Den Vogel schießt allerdings Platz fünf ab: 12,1 % der Menschen mit Hauptschulabschluss und 15,8 % der Menschen mit Hochschulabschluss lehnen fair gehandelten Kaffee ab, weil er nicht so gut schmeckt wie unfair gehandelter (Quelle: Tchibo Kaffeereport 2020/Statista). Daraus mag nun jeder seine eigenen Schlüsse ziehen.

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Kaffee in der Krise

Aber schauen wir mal auf die andere Seite der Kette, die Ernteländer. Kaffeesträucher brauchen gewisse Bedingungen, um ideal wachsen zu können: Ein bestimmtes Klima, eine bestimmte Bodenbeschaffenheit, eine bestimmte Höhe. Diese Bedingungen findet man zwischen dem 25. Breitengrad südlicher Breite und dem 23. Breitengrad nördlicher Breite, also in einem Streifen entlang des Äquators, den man auch „Kaffeegürtel“ nennt. Ein „Kaffeejahr“ richtet sich nach dem Erntezyklus: Es beginnt am 1. Oktober und endet am 30. September des Folgejahres. Schon in den 70ern war Brasilien der größte Exporteur von Rohkaffee. Das ist bis heute so geblieben. 2018/2019 kamen 36,8 % des Kaffees aus Brasilien. Zum Vergleich: Aus Vietnam waren es 18,2 %, Äthiopien deckte 4,5 % ab und Indien 3,1 %. Ruanda kommt gerade mal auf 0,2 %, wobei man die Relation der Landesgrößen natürlich nicht außer Acht lassen darf. Die gute Nachricht ist: Die Nachfrage steigt seit Jahren kontinuierlich. Und die Anbauländer sind durchaus in der Lage zu liefern. Während 1990 weltweit 93.101.300 60-Kilogramm-Säcke Rohkaffee produziert wurden, waren es 2015 bereits 147.993.600. Und die Nachfrage steigt weiter. Was ebenfalls steigt sind die Kosten für die Kleinbauern: Maschinen, Rohstoffe, Transportmittel etc. Was hingegen sinkt, sind die Kaffeepreise und die Löhne für die Kaffeebauern und ihre Arbeiter. Man muss kein großer Mathematiker sein, um zu erkennen, dass das die ohnehin oft prekären Lebensverhältnisse der Kaffeeernter noch zuspitzt, während die anderen Partizipierenden dieser Wertschöpfungskette gut daran verdienen. Dabei wäre schon eine minimale Lohnerhöhung positiv folgenreich, wie die Kaffee-Kooperative.de, die ich später noch vorstellen werde, vorrechnet:

„Wie die Studie zeigt, gibt es eine statistisch relevante Verbindung zwischen dem Kaffeepreis und Faktoren wie Arbeitsplätzen, Wertschöpfung und Armut. Erhöht sich der Preis des Kaffees um nur 1 Prozent, kann die Beschäftigungsrate in ländlichen Regionen um 3 Prozent steigen. Auch die Wertschöpfung durch Landwirtschaft kann um 1 Prozent steigen, während die Armutsquote der Weltbank um 4 Prozent sinken kann.

Weitere positive Auswirkungen eines um 1 Prozent erhöhten Kaffeepreises:

  • Der Anteil von Menschen, die an Hunger leiden, würde um 9 Prozent sinken.
  • Die politische Stabilität würde um 0,08 Punkte steigen.
  • Bis zu 25.000 weniger Menschen würden aus den Kaffee produzierenden Ländern in OECD-Länder emigrieren.“ (Quelle: https://kaffee-kooperative.de/)

Aber die Kaffeebauern haben noch mit anderen Sorgen zu kämpfen: „Diese Kaffeefarmen werden mit dem sich verändernden Klima nahezu durch die Bank unter Druck geraten. Schädlinge werden sich verbreiten, die steigenden Temperaturen werden dem Anbau schaden, die Kosten werden steigen und die Erträge schrumpfen. Das Problem ist: Die meisten Kaffeefarmer bleiben schon heute hinter ihren Möglichkeiten zurück. Es fehlt ihnen an Wissen, Forschung und Ausbildung in puncto Bewässerung, Landmanagement und integrierter Schädlingsbekämpfung. Vermutlich wissen viele gar nichts von ihren Möglichkeiten. “Und wüssten sie es, fehlte ihnen dafür das Geld“, so Jeffrey Sachs. Welche Auswirkungen Covid-19 auf den Kaffeemarkt und vor allem auf die Kaffeebauern haben wird, ist noch gar nicht absehbar. Besser wird es die Situation jedenfalls nicht machen.

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Kaffeeland Ruanda

Aber kommen wir endlich auf Ruanda zu sprechen: Im Land der 1000 Hügel wurden im Jahr 2017 auf einer Fläche von 43.000 Hektar 20 Tonnen Rohkaffee geerntet. Im Übrigen trinkt man in Ruanda selbst so gut wie keinen Kaffee. Er ist ein reines Exportgut. Ruanda ist vielleicht nicht für die produzierten Mengen bekannt, dafür aber für die Qualität seines Arabica-Hochland-Kaffees, der überwiegend im Westen des Landes angebaut wird. 400.000 Menschen arbeiten dort als Kaffeebauern, etwa 20 % davon sind in Kooperativen organisiert. Die meisten davon bauen auf relativ kleinen Flächen an, sodass der Kaffeeanbau alleine nicht zum Überleben reicht. Zumal der allerkleinste Teil des Kaffeepreises bei den Bauern hängen bleibt. Lange Zeit kümmerte man sich im Land ausschließlich um die Ernte – die Weiterverarbeitung, das Rösten, Mahlen und Verpacken fand im Ausland statt. Das Social Start-up Kaffee-Kooperative.de, gegründet von Allan Mubiru (Ruanda) und Xaver Kitzinger (Deutschland), unterstützt Kaffeekooperativen, bei denen die komplette Produktion von den Bauern vor Ort übernommen wird und kümmert sich um den Vertrieb ihrer Produkte in Deutschland. Somit fallen Zwischenhändler in der Kette weg und es bleibt mehr Geld in Ruanda. „Um einen echten Wandel durch Handel zu erzeugen, lassen wir von Kaffee-Kooperative.de unseren Kaffee in der kooperative-eigenen Rösterei rösten und verpacken und exportieren anschließend das vollkommen in Ruanda gefertigte Produkt. Dies erhöht nicht nur das Einkommen der Kaffeebäuerinnen und -bauern, sondern führt auch zu einem echten wirtschaftlichen Aufschwung, da dauerhaft Arbeitsplätze geschaffen werden und branchenrelevantes Know-how im Erzeugerland gebündelt wird, das die Wirtschaftskreisläufe dort nachhaltig stärkt.“ (kaffee-kooperative)

Die Rolle der Frau in Ruanda

Kaffeeanbau ist eine äußerst aufwändige, zeitintensive und anstrengende Arbeit. Dennoch sind es überwiegend Frauen, die sie erledigen. Bis zu 16 Stunden am Tag arbeiten sie, erst auf den Plantagen, danach im Haushalt. Von den Erlösen geht allerdings der kleinste Teil an sie. Während sie 70 % der Arbeit erledigen, sind sie nur zu 30 % am Gewinn beteiligt. Dazu kommt, dass sie im Gegensatz zu den männlichen Bauern in der Regel kein Land besitzen und dadurch auch kein Mitspracherecht haben. Und das, obwohl Ruanda in Sachen Gleichberechtigung in der ersten Liga spielt. Gleichberechtigung ist dort in der Verfassung von 2003 festgeschrieben. Im Global Gender Gap Index Ranking 2020 für Sub-Saharan Africa belegt Ruanda Platz 1 (gefolgt von Namibia, South Africa und Burundi). Global gesehen belegen sie Platz neun, auf Platz zehn folgt Deutschland. Egal ob in Wirtschaft und Politik, im medizinischen Sektor, in der Verwaltung oder an Hochschulen: In wenigen anderen Ländern der Welt sieht man so viele Frauen in Führungspositionen. Die Hälfte der Richterschaft am Obersten Gerichtshof besteht aus      Frauen. Das Gleiche gilt für die Ministerposten. Und im Parlament machen sie sogar zwei Drittel aus, was dazu führt, dass bei allen Entscheidungen auch immer die weibliche Sichtweise miteinbezogen wird, für Frauen relevante Themen auf den Tisch gelegt und Gesetze zur Stärkung der Frauenrechte auf den Weg gebracht werden. Wobei an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben sollte, „dass Minister in Ruanda keine Macht haben, über die Haushalte ihrer Ministerien zu entscheiden“, so der ruandische DW-Journalist Fred Muvunyi. Er spricht von Symbolpolitik.

Hinter jedem starken Kaffee steht eine starke Frau

Alles andere als Symbolpolitik ist „Angelique´s finest“, ein Arabica-Kaffee der besonderen Art. Geworben wird mit dem Slogan „Strong Women, Strong Coffee“ und tatsächlich handelt es sich dabei um ein Qualitätsprodukt aus den Vulkanbergen Ruandas, dessen Herstellung zu 100 % in Frauenhand liegt. Angebaut, geerntet, weiterverarbeitet, verpackt, vermarktet und vertrieben wird er von Frauenkooperativen, die in der International Women´s Coffee Alliance organisiert sind. Benannt ist der starke Kaffee nach einer starken Frau: Angelique Karekezi, Geschäftsführerin von Rwashoscco. 2008 wurde sie zur Leiterin der Verwaltung des Unternehmens ernannt, 2014 wurde sie zur Geschäftsführerin. Rwashoscco vertritt die Interessen von sechs Kleinbauern-Kooperativen und kümmert sich um das Mahlen, Verpacken und Verschicken von „Frauen-Kaffee“. Angelique glaubt fest daran, dass die Kaffeeproduktion bei den Frauen in guten Händen ist und ermutigt sie dazu, an sich selbst, ihre Fähigkeiten und ihr Produkt zu glauben. Der Erfolg von „Angelique´s Finest“ ist ihr bestes Argument. In der Kaffeep     roduktion ist sie längst zum Role-Model geworden, und das nicht nur in Ruanda.

© A. Gorn/Unsplash

Für alle, die sich immer noch fragen, wo man nachhaltigen, fair gehandelten Kaffee eigentlich kaufen kann: Seit 2019 bekommt man „Angelique´s Finest“ sogar in der Drogerie DM, aber natürlich auch direkt bei der Kaffee-Kooperative.de sowie in einigen weiteren Läden. Und wer nach dem Genuss einer Tasse „Angelique´s Finest“ immer noch behaupten möchte, dass dieser Kaffee einfach schlechter schmecke als irgendein anderer Kaffee, der gerade im Angebot ist, der sollte vielleicht besser auf Wasser umsteigen. Unterstützt wird das Projekt unter anderem von der Zeitschrift Brigitte, deren Chefredakteurin Brigitte Huber Folgendes sagte: „Dieser Kaffee ist ein Wachmacher. Er schärft unser Bewusstsein für nachhaltiges Engagement, für die Stärke der Frauen, für Gleichberechtigung, Empowerment und Solidarität.“ 

In den letzten Jahren wurde viel über den Gap zwischen Männern und Frauen, zwischen Produktions- und Abnehmerländern diskutiert. Es wird Zeit zu zeigen, dass wir es damit auch ernst meinen. Denn bekanntlich wird man nicht an seinen Worten, sondern an seinen Taten gemessen. Oder eben an seinen Tassen und deren Inhalt.

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