Mongolei: Der Gesang des Sandes

Mongolei
© Michael Scholten

Der Gesang des Sandes.

Text und Fotos von Michael Scholten.

Die Zivilisation der Hauptstadt Ulaanbaatar liegt seit einer Woche hinter uns. Mit Kleintransportern aus russischer Produktion haben wir unsere Spuren in die Steppenpisten gefräst und uns 1700 Kilometer durch Gebirgsschluchten zu einsamen Klöstern und erloschenen Vulkanen vorgekämpft.

Prächtige Pferde, der Stolz aller Mongolen und somit der Erben Dschinghis Khans, waren bis heute ein gewohntes Bild in der hügeligen Landschaft. Doch jetzt, da wir die Wüste Gobi erreichen, sehen wir nur noch Kamele. Die sind genügsamer und finden in der kargen Fels- und Geröllwüste, in der jedes Pferd verenden würde, genug Futter. Ihre Höcker zeigen aufrecht in den Himmel.

Mongolei

Das ist ein Zeichen, dass es ihnen gut geht. Entgegen vieler Gerüchte speichern sie in ihren Höckern kein Wasser, sondern Fett. Keines der Kamele lebt wild in der Gobi, sie alle gehören Nomadenfamilien. Deshalb sind sie auch zahm genug, dass ich mich ihnen bis auf wenige Zentimeter nähern kann. Mit einem bewundernswerten Blick aus Arroganz und Blödheit starren sie in meine Kamera.

Kamel Mongolei

Die Gobi ist deutlich grüner, als ich sie mir vorgestellt habe. Die goldgelben Dünen, wie ich sie klischeehaft aus der Sahara vor Augen hatte, machen bei der sechstgrößten Wüste der Welt gerade mal drei Prozent aus. Der Rest sind monotone Steppen und kahle Felsen. Doch unser heutiges Etappenziel soll uns doch noch ein Gefühl von malerischer Wüste geben: eine 190 Meter hohe, 180 Kilometer lange und bis zu 15 Kilometer breite Sanddüne, die von den Mongolen Khongoryn Els („Singende Düne“) genannt wird. Den Namen verdankt sie dem Phänomen, dass der Wind gespenstisch klingende Töne erzeugt, wenn er den feinen Sand in immer neue Formen bläst.

Der riesige Sandhaufen will stilecht besichtigt werden, weshalb gegen 18 Uhr elf Kamele an unserem Zeltlager eintreffen. Die mongolische Reiseleiterin Agi hat die Tiere für die wagemutigen Reiter aus unserer Gruppe geordert. Eine Reitstunde kostet nur 3000 Tugrik, also zwei Euro. Ich wähle ein stolzes Tier mit zwei besonders aufrechtstehenden Höckern und schwinge mich zwischen selbige. Die Reittiere sind allesamt Stuten, da die Hengste zu wild und unberechenbar wären. Wir reiten einem Ausläufer der singenden Düne entgegen. Erfreut stelle ich fest, dass ich mich auf einem Kamel deutlich wohler fühle als auf einem Pferd. Irgendwann geben uns die mongolischen Begleiter die Zügel in die Hand, sodass wir den Heimritt zum Lager in Eigenregie bewerkstelligen können. Ein leichter Klaps aufs Hinterteil heißt: Los! Die Steuerung erfolgt über einen leichten Links- oder Rechtsruck mit den Zügeln.

Mongolei

Mein Mitreisender Rudi aus Südtirol freut sich, dass ihm ein kleines blondes Mongolenmädchen mit in den Sattel gesetzt wird. Er mimt den stolzen Vater der süßen Tochter – und ist nach dem Abstieg genau so überrascht wie ich, dass es sich in Wahrheit um einen Jungen handelt. Die langen Haare werden den Jungen traditionell erst im Laufe ihres fünften Lebensjahres abgeschnitten.

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Am nächsten Morgen wartet die eigentliche Herausforderung: die Düne! Mein erster Versuch, die 190 Meter zu erlimmen, scheitert kläglich. Mit jedem Meter, den ich mein Körpergewicht den feinen Sand hochschleppe, rutsche ich zwei Meter zurück in die Tiefe. Zwei Stunden später wage ich einen zweiten Anlauf und setze auf den Herdentrieb. Ich schließe mich dem Rest der Gruppe an und kämpfe mich in den Fußspuren meiner Vorgänger Meter für Meter in die Höhe. Knapp zehn Meter unter dem Kamm will ich aufgeben. Der Wind presst mir unbarmherzig eine Sanddusche entgegen, die jedes Sandkorn mit höchster Geschwindigkeit auf die Haut und in die Augen katapultiert. Ich verliere jede Motivation. Zum Glück brüllt mir der Rest der Gruppe entgegen, dass der Sandsturm auf dem Gipfel nachlässt. Das stimmt. Und der Ausblick ist grandios. Wer erst einmal auf dem Gipfel steht, hat tatsächlich das Gefühl, eine Wüste wie aus dem Bilderbuch unter sich zu haben. In Kombination mit dem Sonnenuntergang, der die karge Mondlandschaft in gelben, goldenen und weißen Farben erscheinen lässt, ist diese Aussicht mit Sicherheit ein Höhepunkt jedes Aufenthalts in der Mongolei.

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Der Abstieg geht rasend schnell. Wer die steile Düne hinunterrennt, legt mit jedem Schritt gleich mehrere Meter zurück. Unten angekommen, drohen meine Schuhe zu explodieren. Es hat sich so viel feiner Sand in ihnen angesammelt, dass jeder Millimeter zwischen Socken und Leder bis zum Bersten gefüllt ist. Nur mit Mühe kann ich die alten Treter ausziehen und den Sand mit dem Abendwind in der Landschaft verstreuen.

Am nächsten Morgen, als ich aus meinem Zelt am Fuße der Düne krieche, hat der Wind all unsere Fußspuren auf der Düne ausgebügelt. Jeder Beweis für unseren Auf- und Abstieg ist verschwunden. Vom südlichsten Punkt unserer Reise geht es heute wieder zurück in nördliche Richtung. Wir durchqueren eine mächtige Schlucht im Gebirge Arzbogd und halten am Nachmittag bei einer Nomadenfamilie. Es stellt sich heraus, dass diese Leute Agis Eltern und Großeltern kennen. Westliche Touristen haben sie bislang nie zu Gesicht bekommen, doch die Kinder der Familie hindert das nicht daran, sich angeregt mit uns zu unterhalten. Mit Gesten statt Worten.

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Das Familienoberhaupt empfiehlt uns einen Platz fürs Zeltlager, an dem wir in der unwirtlichen Gegend zumindest etwas Wasser aus einem kleinen Bach schöpfen können. Dort, inmitten des flachen Nichts, steht auf einer kleinen Insel auch ein heiliger Baum. Von ihm, erfahren wir, sollen wir auf keinen Fall Äste abbrechen. Ich habe keine Ahnung, ob es doch jemand getan hat, aber die Naturgeister scheinen sich gegen uns zu verschwören. Pünktlich zum Abendessen stehen alle Anzeichen auf Sturm. Eines unserer Zelte fliegt mehrere hundert Meter durch die Steppe, woraufhin alle anderen die Heringe noch intensiver in den Boden bohren. Als wir uns um 22 Uhr in die Zelte zurückziehen, schließen wir Wetten ab, welche flatterigen Behausungen morgen vom Winde verweht sein werden.

Der befürchtete Sturm bleibt aus. Am frühen Morgen klatschen nur ein paar Regentropfen an die Zelte, doch schon beim Frühstück knallt uns wieder die Sonne auf die Schädel. Heute müssen wir 235 Kilometer meistern, die uns zunächst durchs sogenannte Schnittlauchtal führen. Hier weiden etliche Kamelstuten. Die Hengste, so erfahren wir, kommen immer erst im Dezember in das Tal, um die 20 bis 30 Weibchen einer Herde zu begatten. Nach zwölf Monaten Schwangerschaft bringen die Stuten dann im Dezember ein Junges zur Welt und müssen danach ein Jahr mit der Familienplanung aussetzen.

Inmitten des Schnittlauchs baut Agi einen kleinen Steinhügel zu Ehren ihrer Großeltern, deren Gräber in den benachbarten Bergen liegen. Auf die Steine legt sie etwas Käse und ein paar Zuckerwürfel. Jeder aus unserer Gruppe steuert weitere Steine bei.

Ein neuer Owoo ist entstanden, wie er tausendfach entlang der Straßen in der Mongolei zu finden ist. Künftig werden weitere Mongolen an dieser Stelle halten, drei Steine auf den Owoo legen und dreimal drumherum laufen, um die Götter für die Weiterfahrt gnädig zu stimmen. Gern bringen sie auch kleine Opfer dar, wie Geldscheine, Bonbons, Bilder oder Wodkaflaschen. Dass die Flaschen nicht selten leergetrunken sind, erhöht in meinen Augen die Notwendigkeit, ein paar Extrarunden um den Owoo zu laufen, damit der Alkohol am Steuer nicht zu Verkehrsunfällen führt.

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