Kraftvoll und unnachgiebig, sanftmütig und wunderschön, riesig und geheimnisvoll – die Meere der Welt sind Orte der Vielfalt und Gegensätze. Die Veranstalter der International Ocean Film Tour versuchen, zumindest einen Teil dieser Vielseitigkeit einzufangen. Mit ihrer Auswahl von sieben Streifen reisen sie dieses Jahr zum nunmehr vierten Mal um die Welt, genauer: durch Europa und die USA. Wir haben uns das Programm angesehen und verraten dir, was es bereithält.
Ein Wind mit rotem Bart
Der Abend beginnt mit einer Filmperle, die einfach Spaß macht. Im Eröffnungsstreifen „The Accord“ (19 Minuten) schlägt sich der erste isländische Profisurfer Hei∂ar Logi Elíasson an den Küsten seiner Heimat mit dem launischen nordatlantischen Wind herum. Immer wieder machen die störrischen und unberechenbaren Nordwinde, die hier eine wilde Regentschaft führen, dem Surfer einen Strich durch die Rechnung. In dessen Kopf ist der Sturm ein rotbärtiger Saufbold, spröde und jähzornig. So wütet der Wind im Film dann auch nicht nur mit rauer Schönheit an Islands Küsten, sondern immer wieder auch als wildgewordener, biertrinkender Nordmann in einem Pub. Eine herausragende Idee, einfallsreich umgesetzt. Auch ansonsten ist der Film über den Wind und den Wellenreiter unterhaltsam und eigenwillig geschnitten – und mit seinem schwarzen Humor ein gelungener Opener für die diesjährige Ocean Film Tour.
Der Kampf mit Wind und Wellen
Über einen beinahe ebenso großen Spaßfaktor verfügt der Film „Shorebreak – Die Clark Little Story“ (18 Minuten), der den Abend abschließt. Er stellt uns den Hawaiianer Clark Little vor, einen vormaligen Surfer, der zum Fotografen wurde und seine Leidenschaft für die perfekte Welle so zum Beruf machte. Die Kamera begleitet ihn mitten hinein in seine Lieblingsmotive: Shorebreaks – riesige Wellen, die dicht am Strand brechen. Clark Little jagt diese Wellen, positioniert sich mitten in der Brandung und müsste, so meint man als Zuschauer, von den gewaltigen Wassermassen, die über ihm tosend zusammenschlagen, ein ums andere Mal zermalmt werden. Doch anstelle eines plattgewalzten Fotografen entstehen wunderschöne Wellenaufnahmen aus neuen Perspektiven – irrwitzige Szenen für den Film.
Auch „Chapter One“ (10 Minuten) über das Kiteboarding und „A Plastic Ocean“ (20 Minuten) über die Gefahr für unser ökologisches Gleichgewicht, die von Plastikmüll ausgeht, sind sehenswerte Filme. Der unerwartete Höhepunkt des Programms ist jedoch „The Weekend Sailor“.
„The Weekend Sailor“ – das Highlight der 4. International Ocean Film Tour
Zunächst löst der vierzigminütige Film Fragen aus: Ein Film über eine Segelregatta, die viereinhalb Jahrzehnte zurückliegt? Klingt nach blassen, etwas eingestaubt anmutenden Aufnahmen, nach unfreiwillig komischen Frisuren und fragwürdigen Modeentscheidungen.
All das auf einem Filmfestival über Meere?
Ja, und hundertmal ja! Hier, bei diesem Film, der als letzter Beitrag vor der Pause gezeigt wird, beginnen die Zuschauer zu reagieren. Immer wieder lachen und seufzen sie erleichtert und applaudieren zum ersten Mal am Ende.
Thema des Films ist das erste Segelwettrennen um den Globus. Es fand 1973 statt – mit 17 Yachten aus sieben Nationen – und erstreckte sich über 27.000 Seemeilen. Hier fanden sich die renommiertesten internationalen Segelmannschaften zusammen, erfahrene Vollprofis durch und durch – und der mexikanische Unternehmer Ramón Carlín.
Ihn als Underdog zu bezeichnen, wäre noch schmeichelhaft. Die Teilnahme am Rennen ist für ihn nicht vielmehr als eine Schnapsidee. Er hat mit seiner nagelneuen Yacht noch nie bei einem Rennen mitgemacht. Auch seine Crew gleicht seine mangelnde Erfahrung nicht aus. Er heuert nicht etwa versierte Seemänner an, sondern nimmt Kind und Kegel mit – Familienmitglieder, Freunde, Angestellte. Offenbar jeden, der gerade Lust und Zeit hat. Doch die Lachnummer des Rennens, als die ihn die Presse anfangs verhöhnt, bleibt Carlín nicht lange …
Adventure. Action. Ocean Life.
Wilde Wassersport-Action, nachdenklich stimmende Ozean-Dokus, Abenteuer und Wildlife – alle Beiträge der Ocean Film Tour haben ihre eigenen Stärken. Die Mischung der Inhalte, Stile und Filmlängen ist abwechslungsreich und ausgewogen, bei jedem Streifen ist nachvollziehbar, warum die Veranstalter ihn ins Programm aufgenommen haben.
Gleichwohl ist nicht zu leugnen, dass kaum ein Zuschauer sich von allen Filmen gleichermaßen angesprochen fühlen wird. Das liegt nicht nur daran, dass die Geschmäcker nun einmal unterschiedlich sind, sondern vor allem an der unterschiedlichen Emotionalität und Tiefe der Filme. So hat „The Legacy“ mit seiner Laufzeit von nur fünf Minuten kaum Gelegenheit eine bleibende Wirkung zu entfalten. Der Streifen über pazifische Mantarochen und andere bedrohte Arten in einem mexikanischen Archipel glänzt mit schön gefilmten Unterwasserbildern und vermittelt eine wichtige Botschaft – allerdings nicht deutlich eindringlicher oder bestechender (oder auf andere Weise besser) als Dokumentationen, wie man sie schon etliche Male im TV gesehen hat. Dazu eben die Kürze: Kaum geht es los, ist es schon wieder vorbei: Der Film versucht nicht einmal die Zuschauer in seinen Sog zu ziehen. Er wirkt eher wie ein – wenn auch nicht uninteressanter – Denkanstoß für zwischendurch, wie ein besinnliches Innehalten inmitten wilder Strudel, die einen größeren Anteil der Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Und als solcher hat er durchaus seine Daseinsberechtigung im Programm.
Mit einer ähnlichen Herausforderung kämpft der dreiminütige Film „Johanna under the Ice“. Doch auch er will nicht mehr sein, als er ist: ein kurzer Einblick, ein stimmungsvoller Exkurs zwischen ausführlicheren Streifzügen durch die Meereswelten. Dabei gelingt es ihm durch seine eindringliche Atmosphäre zu bestechen – und durch die Neugierde, die die außergewöhnliche Leidenschaft der Protagonistin unweigerlich auslöst: Die finnische Freediverin Johanna Nordblad hat nach einem schweren Mountainbike-Unfall ihre Liebe zu kaltem Wasser und der glasklaren vollkommenen Stille unter dem Eis entdeckt. Der Zuschauer begleitet sie nun für ein paar Momente in diese beklemmende und zugleich extrem befreiende Welt.
Trotz des unterschiedlichen Faszinationsfaktors der Beiträge hält die International Ocean Film Tour, was sie verspricht: Sie ist ein mal unterhaltsames, mal nachdenklich machendes, mal mitreißendes Filmevent für alle, die das Meer lieben.