Besuch bei Peter Willers und dem Minenräumverband sechs.
Peter Willers geht in die Hocke und betrachtet die Linien. Der Dorfälteste hat sie in den roten Staub gezeichnet, um dem deutschen Oberstleutnant a. D. das Gelände zu erklären. Er redet hastig. Denn die Zeit ist knapp.
Rasch hat Willers ein Bild von der Lage: Ein Mann ist beim Holzschlagen in einen nahegelegenen Wald auf eine Mine getreten. Nicht immer endet diese unheilvolle Begegnung tödlich. Die meisten Minen reißen ihren Opfern die Füße oder Beine ab. Kommt schnell Hilfe und wird die Blutung schnell gestillt, können viele Opfer überleben.
Willers, der mir von der Begebenheit erzählt, die sich unweit der thailändischen Grenze ereignete, zuckt mit den Schultern. „Es wurde extra mit Schildern vor dem Minenfeld im Wald gewarnt, aber der Mann ignorierte sie. Weshalb? Edelholz.“ Mit Edelholz lasse sich gutes Geld verdienen. Jedenfalls für die Auftraggeber. „Die Arbeiter sind natürlich arme Schlucker. Sie leben weit draußen auf dem Land und ringen jeden Tag um ihre nächste Speise.“ Ein Tuk-Tuk-Fahrer in der Stadt verdiene auch nicht viel, vielleicht fünfzig oder siebzig Dollar im Monat. Aber er könne davon leben. Dagegen stünde dem ärmsten Teil der Landbevölkerung häufig nur ein einziges kleines Feld zur Verfügung, manchmal nicht einmal das. „Da ist den Leuten selbst eine kleine Einnahme das Risiko wert, ihr Bein oder ihr Leben zu verlieren.“
Nun lag einer dieser Arbeiter verletzt zwischen den Bäumen. Das Problem: Kein Sanitäter konnte zu ihm gelangen, ohne sich selbst in Gefahr zu begeben. Ein Fall für Willers Minenräumverband. Zentimeter für Zentimeter, Stunde um Stunde, arbeiteten sie sich zu dem Mann vor und fanden auf dem direkten Weg zu ihm sechzig Minen. Sechs Stunden dauerte die Bergung. Der Mann hatte Glück: Keine Schlagader war getroffen. Er überlebte.
Nüchtern beendet Willers seinen Bericht mit einer für ihn typischen Floskel: „Das war also okay.“ Peter Willers gehört zu den Menschen, die einen Raum ausfüllen, sobald sie ihn betreten. Dafür sorgen vor allem die kräftige Stimme und der ausschreitende, zackige Gang. Und seine Körpergröße: fast zwei Meter. Dabei verfügt Willers über eine innere Ruhe, die nach außen strahlt und auf große Selbstsicherheit hindeutet. Der dreiundsiebzigjährige Hüne gibt einem nicht nur das Gefühl, dass er viel gesehen hat und dass ihn kaum etwas erschüttern kann. In seinem kaki Hemd, an dem genauso wie an seinem Basecap ein Anstecker mit der deutschen und der kambodschanischen Flagge steckt, und der dünnen Stoffhose von Jack Wolfskin sieht er zudem wie ein Abenteurer aus.
Und ein Abenteuer ist es, in das wir uns begeben. Jedenfalls für mich.
Willers schlüpft aus seinen hohen, vorn spitz zulaufenden Lederstiefeln, denen nur die Sporen fehlen, damit sie zur Requisite in einem Western taugen, und gleitet in Trekkingstiefel. Dann verlassen wir sein Büro im Stabsgebäude des Minenräumverbands sechs in Siem Reap, der vom Auswärtigen Amt finanziert wird und den Willers seit sechs Jahren leitet. Wir steigen in einen weißen Nissan-Jeep, den Aufkleber als Fahrzeug einer deutsch-kambodschanischen Kooperation kennzeichnen: des Cambodian Mine Action Centre. Willers setzt sich ans Steuer, ich auf den Beifahrersitz. Hinten nimmt Mean Sarun Platz. Er ist ein freundlicher älterer Herr, dessen Falten in den Mundwinkeln den Eindruck verstärken, als würde er fortwährend lächeln. Im Bürgerkrieg war er Regimentskommandeur bei der CPP, der Kambodschanischen Volkspartei, und Anfang der 1990er-Jahre Verbindungsoffizier zum Mine Action Center der UN; nun ist er Willers‘ rechte Hand.
Willers steuert das Fahrzeug aus Siem Reap heraus und fährt nach Nordosten, vorbei am Tempel Banteay Srey und weiter in Richtung Anlong Veng, wo die Roten Khmer noch bis 1998 ihr Hauptquartier hatten. Erst voraus und dann zu unserer Rechten liegt der Phnom Kulen, das heilige Bergplateau, das den Ausgangspunkt der Khmer-Kultur bildete. Hier verkündete König Jayavarma II. im Jahr 802 die Unabhängigkeit Angkors von Java, und hier gründete er seine Hauptstadt Mahendraparvata, die australische Archäologen mithilfe von Lasertechnik 2013 wiederentdeckten. Hier entspringt der lebensspendende Siem-Reap-Fluss und hier liegen die Steinbrüche, aus denen die Khmer den Sandstein für ihre Tempelstädte holten. In einigem Abstand reihen sich Dörfer aus locker verteilten Pfahlbauten entlang der Straße auf. Ansonsten herrscht Grün vor: Reisfelder, kleine Wälder, Palmen, einzelne hohe Bäume. Die Regenzeit lässt alles sprießen. Die Holzhäuser kauern sich behaglich in den Schatten der Vegetation.
Lesereise Kamboscha
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch “Lesereise Kambodscha – Ein Tuk Tuk in Angkor” von Erik Lorenz.
- Picus Verlag
- ISBN: 978-3-7117-1057-4
- 132 Seiten, gebunden
- 15,-
- Auch als E-Book erhältlich

Während Willers den Wagen über die kurvige Straße lenkt, erzählt er aus seinem Leben. Von seinen sieben Jahren als Offizier in der Beratergruppe der Bundeswehr in Dschibuti und Tunesien und seinen Aufenthalten in Ländern wie Ägypten, Burkina Faso, der Elfenbeinküste, Ghana und Togo. Von einer Büffeljagd in Sambia, einer Oryxbullenjagd in Namibia und anderen Jagderlebnissen in Afrika, über die er ein Buch geschrieben hat. Von seinem weltweiten Einsatz als Minenexperte, etwa in Bosnien und Herzegowina, im Kosovo, im Irak, in Dschibuti, im Tschad und in Ruanda. Von Erfolgen wie der Auszeichnung mit dem königlichen Sahametrai-Orden von Kambodscha und dem Verdienstorden der Republiken Dschibuti und Tschad. Von Tragödien wie einem Unfall, bei dem sein Stellvertreter im Tschad mit fünf weiteren Kollegen starb, als eine vorbereitete Sprengung mit zehn Tonnen Sprengstoff aus ungeklärten Gründen vorzeitig hochging.
Nach einer knappen Stunde biegen wir links in Richtung des Distrikts Varin auf eine Schotterstraße ab. Immer wieder verstopfen Herden weißhäutiger Rinder die roterdige Straße. Willers hupt, lauert auf eine Lücke und rollt wachsam zwischen den Tieren hindurch. Dann beschleunigt er wieder. Er fährt fast achtzig Stundenkilometer und lässt sich auch von den größten Spurrillen und tiefsten Schlaglöchern nicht beeindrucken. Nach einem besonders heftigen Satz des Autos murmelt er ein „Oh“ – und rast weiter. Ich springe auf meinem Sitz herum, schlage mit dem Kopf mehrmals gegen die Decke. Sarun gibt hinter mir Gluckslaute von sich, eine Mischung aus Kichern und erschrecktem Husten. Vorn auf der Motorhabe schwingt eine lange Antenne wild hin und her. Schließt Willers zu einem Radfahrer oder Tok Tok auf, einem kleinen Einachsentraktor, hubt er sie zur Seite und brettert an ihnen vorüber. Wo ich wie ein kurzsichtiger Greis über dem Lenkrad kauern würde, steuert der Dreiundsiebzigjährige zurückgelehnt und mit ausgestrecktem Arm – und erzählt munter über sich und seine Arbeit. „Wir sind nicht ein Beispiel für die Kooperation zwischen Deutschland und Kambodscha, sondern das Beispiel“, betont er. „Wie in Afrika gibt es auch in Kambodscha viele Projekte, deren Sinn man ernsthaft bezweifeln kann. Häufig kommt die Hilfe jenen zugute, die genügend haben und noch reicher werden wollen. Aber unsere Arbeit hat noch niemand in Frage gestellt. Wenn ich jemandem helfe, dann den Armen.“
Vor kurzem habe ihm ein Mitarbeiter einer Entwicklungshilfeorganisation einen Vortrag gehalten. „Es ging um Zivilversöhnung oder sowas.“ Willers fragte, was der Mitarbeiter darunter verstehe. Antwort: „Das kann man nicht so einfach erklären.“
„Wissen Sie“, entfährt es dem Praktiker, „wenn jemand das sagt, können Sie davon ausgehen, dass es Unfug ist. Beim Minenräumen ist das anders. Ich freue mich über jede Mine, die gefunden und gesprengt wird.“
Von 1999 bis 2012 hat der Minenräumverband sechs in Kambodscha 42.000 Personenminen, 613 Panzerminen und 165.469 Blindgänger geräumt. Eine riesige Anstrengung und ein Wettlauf gegen die Zeit. Minen und Blindgänger verletzten oder töteten zwischen 1980 und 2012 65.000 Menschen. Damit liegt Kambodscha weltweit auf Platz eins. Ein trauriger Rekord, der das Ergebnis von drei Jahrzehnten Bürgerkriegen ist. Ende der 1960er-Jahre wurde Kambodscha in den Vietnamkrieg verwickelt: Die USA warfen 2,4 Millionen Tonnen Bomben auf Kambodscha, von denen dreißig Prozent nicht explodierten. Wie tickende Zeitbomben liegen sie nun in der Landschaft herum. Von 1975 an herrschten die Roten Khmer, die von vietnamesische Truppen 1979 bis hinter die thailändische Grenze zurückgedrängt wurden. Ein langer Krieg der Armen begann. Ihr Hauptkampfmittel waren die Minen. Alle Parteien verlegten Landminen entlang der sich ständig verschiebenden Fronten. In der zweiten Hälfte der Achtziger verlegten die Vietnamesen an der Grenze zu Thailand den wohl dichtesten Minengürtel der Welt: den „Bambusvorhang“. Eigentlich müsse er korrekt „Minenvorhang“ heißen, berichtigt Willers. Ein- bis dreitausend Minen je Kilometer – auf tausend Kilometern Länge. Die Folgen sind im Land überall sichtbar: Vielerorts gibt es Minenopfermusikgruppen; an Tempeln oder Märkten betteln Amputierte. Wer nicht mehr arbeiten kann, fällt durch das soziale System. Eine Pension, Rente oder andere Absicherung gibt es nicht.
„Deshalb macht unsere Arbeit Sinn“, verkündet Willers nicht ohne Stolz. „Wir verhindern unzählige persönliche Katastrophen.“
Minen liegen oft in der Nähe von Dörfern. Entweder sind die Leute dort nach Kriegsende wohnen geblieben oder das Land wurde von den Behörden günstig an landlose Bauern verkauft. Als die dann ihre Häuser aufgebaut hatten und sie begannen, das Land zu bestellen, mussten sie feststellen, dass die Felder rundherum vermint waren. Bemerkt wurde es häufig erst, wenn ein Tier oder ein Mensch auf eine Mine trat. Noch 2002 war einer Studie zufolge die Hälfte der kambodschanischen Dörfer vermint.
Neben der unmittelbaren Gefahrenminderung hilft Willers‘ Minenräumverband, den Menschen ihre Existenz zu sichern. Das gelingt, wenn einer Familie zwei Hektar Land zur Verfügung stehen: ein Hektar für die Selbstversorgung und ein Hektar, dessen Ertrag auf dem Markt verkauft werden kann. „Aber diese kümmerlichen Bauern haben oft nur einen halben Hektar, weil der Rest vermint ist. Wenn überhaupt. Deshalb sind wir gern gesehen.“ Wo immer er gerade geräumt hat, legen die Bauern sofort Felder an und bearbeiten das Gelände mit ihren Pflügen. „Und dann denke ich: Siehst du, man kann ja nicht der ganzen Welt helfen, aber diesen Leuten in diesem Dorf haben wir geholfen. Das ist konkret. Und deshalb zutiefst befriedigend.“
Willers erinnert mich an ein Foto, das er mir an diesem Morgen bei seinem Vortrag im Stabsgebäude gezeigt hat: Er neben einer Frau, die ihm drei Maiskolben überreicht. „Das sollte so eine Art Dankeschön sein. Das sind ja ganz arme Socken.“ Sie hatte ihn gebeten die von Minen gesäuberte Fläche etwas zu erweitern und auch die Vegetation etwas weitläufiger zurückzuschneiden als geplant. Indem der Räumverband ihrem Wunsch entsprach, stand ihr fortan mehr Land zur Verfügung.
Beiderseits der Staubpiste grünt und blüht es. Saftiges Gras, hochgewachsener Reis, Süßkartoffeln, dazwischen einzelne Bäume, Palmen und Wasserbüffel, die bis zum Bauch in trüben Tümpeln stehen. Und auch hier die typischen hölzernen Pfahlhäuser, in denen die Bauern leben. Eine ausgesprochen schöne Gegend.
Schließlich biegen wir links auf einen unebenen Pfad ein. Wir kommen nur noch langsam voran. Bald sehe ich das erste rote, quadratische Warnschild mit weißem Totenkopf und der Schrift „Danger!! Mines!!“. Willers parkt neben einem Lkw mit langen Sitzreihen, der das Räumkommando morgens vom nahegelegenen Camp herbringt.
Ein Komitee aus fünf Männern begrüßt uns: der Zugführer, seine zwei Stellvertreter, der Sanitäter und der Kraftfahrer des Zuges. Sie tragen Uniformen aus hellblauen Mützen und Hemden, auf denen der Dienstrang steht. Vor Willers salutieren sie, mir reichen sie in respektvollen Gesten jeweils beide Hände gleichzeitig. „Räumzug 141, Stärke siebenundzwanzig Mann, zwei Mann in Urlaub, einer krank vor Ort. Zur Zeit verstärkt durch ein Brush-Cutter-Team!“, meldet der Zugführer. Ich frage Willers nach dem Grund für die militärischen Umgangsformen – immerhin ist dies keine militärische Einheit.
„Ich bin ein Freund von…“
„Rang und Ordnung?“, ergänze ich voreilig.
Willers schüttelt den Kopf. „Rang spielt keine Rolle. Aber Disziplin ist wichtig. Sie ist bei uns die Grundlage für unfallfreies Arbeiten.“ Er überlegt kurz und fügt hinzu: „Also insofern ist das okay.“
Die Männer bringen uns zu einer grünen, mit Ästen aufgespannten Plane, unter der Ausrüstung liegt und einige weiße Plastikstühle und eine Metallstaffelei stehen. Es ist die Kommandozentrale. An der Staffelei sind zwei Karten befestigt: Die kleinere bietet einen Überblick über die gesamte Region. Die bereits gesäuberten Minenfelder und die noch anzugehenden sind farblich hervorgehoben. Die größere Karte ist von Hand gezeichnet. Sie verschafft einen detaillierten Eindruck vom aktuellen Minenfeld. Es ist 10,2 Hektar groß, von denen bisher zweieinhalb geräumt wurden. Ein gutes halbes Jahr wird das Team hier insgesamt beschäftigt sein.
Jeder Fund wird auf der Karte vermerkt. Im Jahr 2013 wird der dreihundert Personen starke Minenräumverband sechs fast fünfhundert Hektar Land von 4084 Minen, 24.918 Blindgängern und mehr als 2.500 Kilogramm Gewehr- und Maschinengewehrmunition sowie anderer Munition kleinerer Kaliber befreien. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Regierungsziel, das Land gemäß der OTTAWA-Konvention bis 2020 weitgehend entmint zu haben. Und ein weiterer Schritt zur Verminderung der Opferzahlen. Ende der 1990er-Jahre waren es jährlich noch mehrere tausend, im Jahr 2013 hingegen nur noch einhundertelf Opfer. Auch dank Willers’ Minenräumverband.
Willers besucht jedes Minenfeld mindestens einmal im Monat. Er überprüft, ob die Sicherheitsstandards eingehalten werden, und lässt sich über die Art der Funde informieren. Wir setzen uns auf zwei Plastikstühle, bekommen jeder ein kleines Teeglas gereicht und lauschen dem detaillierten Bericht des Zugführers, der in Khmer spricht. Sarun übersetzt für Willers ins Französische. Bisher hat der siebenundzwanzig Mann starke Räumzug neun Minen entdeckt, darunter drei chinesische Splitterspringminen vom Typ 69 und eine sowjetische PMN-2. Dazu kommen zwanzig Blindgänger: zwölf 60-Millimeter-Mörsergeschosse, zwei 82-Millimeter-Mörsergeschosse, fünf Gewehrgranaten und ein Zünder. Momentan schaffen die Männer 2.300 Quadratmeter am Tag.
„Das ist Durchschnitt“, erklärt Willers, dessen beiges Hemd sich an einigen Stellen langsam dunkel färbt. Schweiß rinnt ihm über das Gesicht. „Mit der Vegetationsschneidemaschine könnte es ruhig noch etwas mehr sein, aber das hängt auch stark vom Gelände ab.“
Selbst wenn die Räumgeschwindigkeit unterdurchschnittlich wäre, würde Willers keine Kritik üben. „Man darf die Minenräumer nie unter Druck setzen, dass sie schneller arbeiten müssen“, sagt Willers. „Dann werden sie nachlässig.“
Als die Lagebesprechung beendet ist, stellt Willers sein Teeglas auf einen kleinen Tisch und verkündet: „Okay. Dann machen wir jetzt eine kleine Tour.“


Erde schießt in hohen Fontänen in die Luft, Holz knackt, kippende Baumkronen rascheln aufgebracht. Unaufhaltsam arbeitet sich das weiße Ungetüm durch einen kleinen Wald vor. Und vernichtet ihn. Es würde Wochen dauern, das Dickicht voller Lianen und Stacheln per Hand zu beseitigen. Die Vegetationsschneidemaschine dagegen reißt ganze Bäume sekundenschnell und mühelos aus. Sie ist eine von insgesamt zwei Maschinen, die dem Minenräumverband zur Verfügung stehen. Von einem gewöhnlichen Kettenrad-Bagger unterscheidet sie sich durch das starke Metallgitter, das die Fahrerkabine schützt, und die rotierende Walze am Ende des Auslegers, die sich mit großen Stahlzähnen ins Gehölz bohrt. Dicke, alte Bäume bleiben stehen, aber jene, die gewachsen sind, nachdem die Roten Khmer das Gebiet um 1998 verlassen haben, in dem sie sich Jahre zuvor Gefechte mit der Kambodschanischen Volkspartei geliefert hatten, müssen beseitigt werden. Genauso wie umgestürzte Bäume und Termitenhügel. Auch unter ihnen können sich Minen verbergen.
Wir laufen einen Hang hinunter zwischen kurzen, rot angemalten Pfählen hindurch, die in der Erde stecken. Sie sind mit roten Fäden verbunden und markieren einen geräumten Flur. Links liegt ein Süßkartoffelfeld, rechts bewegen sich einige Männer in Schutzwesten und Helmen mit bedächtigen Schritten durch den Wald. Die Männer arbeiten in Zweierteams, die mindestens fünfzehn bis zwanzig Meter Abstand zueinanderhalten. Falls doch eine Mine unkontrolliert explodieren sollte.


Ich folge Willers zu einem der Zweierteams. Einer der beiden Männer beugt sich über die roten Fäden und schneidet auf einem halben Quadratmeter mit einer Heckenschere Büsche und Gras so weit zurück, wie es möglich ist, ohne den Boden zu berühren. Nur so kann der Metalldetektor, den sein Kamerad nun über dem Boden kreisen lässt, die vergrabenen Minen erfassen. Das Gerät stößt einen konstanten, leisen Piepton aus. Bis es leicht aufheult. Der Mann legt den Detektor zur Seite, heftet einen starken Magnet an eine Handschaufel und hält diese dicht über den Boden. Sofort fliegen Patronenhülsen und Granatsplitter hoch, die seit Jahrzehnten vor sich hin rosten. Beim nächsten Versuch heult der Detektor erneut auf, dieses Mal leiser. Das leise Aufheulen mahnt zu besonderer Vorsicht: Minen bestehen vor allem aus Plastik und nur aus wenig Metall. Der Minenräumer sticht mit einer Minensuchnadel, einer Art langer Stricknadel, schräg in den Boden. Ein Widerstand deutet möglicherweise auf eine Mine hin – oder auf einen Stein. Fehlalarme sind die Regel, nicht die Ausnahme. Denn die meisten Signale werden von ungefährlichen Patronenhülsen oder Granatsplittern verursacht. So kann allein eine Mörsergranate tausende winzige Splitter über mehrere hundert Meter verteilen. Auf sechshundert Alarme kommt nur ein Minenfund. Die Minenräumer müssen jedoch jedem Signal nachgehen und es beseitigen, bevor sie sich den nächsten halben Meter vornehmen können. Sie arbeiten sich in Handarbeit Zentimeter um Zentimeter vor – eine Geduldsübung, bei der jede Nachlässigkeit fatal sein kann. Die umfangreiche Schutzbekleidung erschwert die Konzentration im schwül-heißen Klima zusätzlich. Auch von Mücken und beißenden Roten Ameisen dürfen sich die Minenräumer nicht ablenken lassen. Ebenso wenig wie von der Angst vor den häufigen Begegnungen mit Schlangen wie der Grubenotter. Sie ist besonders gefährlich, weil sie regional unterschiedliche Gifte entwickelt. Deshalb gibt es gegen ihren Biss kein Antiserum. Für all diese Unbilden, für einen Job, bei dem jeder Fehler eine Gliedmaße oder das Leben kosten kann, erhält ein gewöhnlicher Minenräumer um die 190 Dollar im Monat – beinahe das doppelte Gehalt eines Lehrers oder Polizisten.
Leang salutiert vor Willers, klappt das tiefe Plexiglasvisier seines Helmes herunter und begibt sich an die Arbeit. Mit einem Spaten und seinen Fingern legt er die Mine frei und putzt vorsichtig die Erde von ihr herunter. Er hebt sie mit den Händen auf. Viele Minen sind nach Jahren im Erdreich innerlich verrottet; oftmals haben Wurzeln die Zündkette durchbrochen. Aber jene in Leangs Händen sieht aus wie neu. Ich knie anderthalb Meter von ihm entfernt, um keinen Handgriff zu verpassen. Ich beobachte, wie er mit einem speziellen Schlüssel den Zünder und den Zündbeschleuniger herausschraubt – und hoffe von Herzen, dass er weiß, was er tut. Er hantiert mit der Mine wie mit einem rohen Ei, immer darauf bedacht, nicht den schwarzen Plastikauslöser zu berühren.
Schließlich streckt er mir die Hände entgegen. In ihnen hält er die einzelnen Bestandteile der Mine: den Plastikmantel, den Sprengstoff, den Zünder, den Zündbeschleuniger. Willers klopft ihm auf die Schultern und grinst mich an. „Wieder eine weniger!“, sagt er gutgelaunt. „Das ist doch okay!“


