Eine Hausboottour auf dem Canal du Nivernais.
Der Canal du Nivernais in Burgund gilt nicht von ungefähr als der wohl schönste Wasserweg in ganz Frankreich.
Von Karsten-Thilo Raab
Zum Wasserskifahren dürfte das Tempo kaum reichen. Im Gegenteil. Die maximale Geschwindigkeit von 18 Stundenkilometern bestimmt den Takt der Entschleunigung. Selten war es wohl leichter, die Seele einfach mal baumeln zu lassen. Ohne Hektik, ohne Stress lassen sich die wunderbaren An- und Aussichten in diesem Teil von Burgund genießen. Für ein wenig Aufregung und feuchte Hände sorgen allenfalls die Schleusen. Und von denen gibt es auf dem 100 Kilometer langen Teilstück des Canal du Nivernais zwischen Tannay und Migennes mehr als genug. Insgesamt 50 Wasserstufen gilt es entlang der wohl schönsten Wasserstraße Frankreichs zu nehmen. Doch mit jeder neuen Schleuse mutiert selbst die größte Landratte mehr und mehr zum erfahrenen Seebären. Was auch an der Tatsache liegt, dass das Hausboot überaus leicht zu manövrieren ist. Die Caprice ist stolze zwölf Meter lang und gut 3,80 Meter breit, doch für eine schwimmende Ferienwohung auch ohne Kapitänspatent nach einer kurzen Eingewöhnungsphase gut zu handeln.


Direkt am Ableger im schnuckeligen Tannay wartet die erste Herausforderung, eine Brücke, deren Durchfahrt kaum breiter als die Caprice selber ist. Glücklicherweise hat das Boot an der Seite mehrere Fender – langgezogene, luftgefüllte Schutzkörper aus Plastik, die verhindern, dass das Hausboot seitlich aufgeschlitzt oder beschädigt wird. Nach ein paar Kurven warten die ersten beiden Schleusen, bevor der Wasserweg in eine wunderschöne, gerade Allee übergeht. Der Kanal ist links und rechts von schattenspendenden Bäumen gesäumt, durch die immer wieder die strahlende Sonne vom blauen Himmel herab durchblitzt. Schwäne, Enten und Graureihern gleiten majestätisch über oder tauchen in das Wasser, während an den Ufern mächtige Charolais-Rinder weiden.


Nach neun Kilometern ist Villiers sur Yonne erreicht. Ein Dörfchen mit vielleicht drei Dutzend Bruchsteinhäuschen, in dem die Zeit still zu stehen scheint. Nach einer schmalen Brücke weitet sich hier der Kanal ein wenig. Unter mächtigen Bäumen findet sich ein herrlicher Anlegeplatz für die Nacht. Und dies ohne jede Kosten. Im Gegenteil – auch Wasser und Strom stehen entgeltfrei zur Verfügung, um die Bootsbatterie aufladen und den Frischwassertank auffüllen zu können.


Einziges Manko: In dem Dorf, das mit Ausnahme der parkenden Autos prima als Kulisse für einen Historienfilm aus dem 18. und 19. Jahrhundert herhalten könnte, gibt es weder Geschäfte noch Restaurants. Ein Phänomen, das für weite Teile des Canal du Nivernais typisch ist.
Die nächste Boulangerie, wie die Bäckereien hier heißen, findet sich, wie ein Schild am Kanalufer ausweist, im drei Kilometer entfernten Dornecy. Hin und zurück sechs Kilometer bergauf, bergab für ein Baguette und ein paar Croissants? Für die beiden hübschen Gallionsfiguren an Bord, die sich bislang vornehmlich damit beschäftigt haben, am Bug die Sonne zu bewachen, eine willkommene Herausforderung. Sie streifen die Laufschuhe über und verbinden die Einkaufs- mit einer Joggingtour.
Auch in den kommenden Tagen verschaffen sie sich immer wieder Auslauf. Zumeist joggen die beiden Strahlefrauen von Schleuse zu Schleuse. Dazu nutzen sie die Treidelpfade entlang des Kanals. Wohl auch, um zu unterstreichen, wie fit sie sind. Denn sie siegen bei jedem Laufduell locker gegen das Hausboot.
Ansonsten sind es vornehmlich die kleinen Spinnen und Insekten, die sich immer wieder als Schwarzfahrer an Bord schleichen, die bei den beiden Gallionsfiguren für plötzliche Aktivität sorgen. An der Ecluse des Dames vor den Toren von Prégilbert interessieren sich die beiden Sportskanonen dann auch weniger für das historische Kloster, sondern allein für die Trampolinwelt in drei Metern Höhe zwischen mehreren Bäumen.


An nahezu jeder Schleuse begrüßt ein freundlich wedelnder Hund oder eine schnurrende Katze die Freizeitkapitäne. Dabei scheint die Kommunikation mit den Vierbeinern deutlich einfach als mit den durchweg gut gelaunten Schleusenwärtern. Mit Letzteren beschränkt sich der verbale Austausch leider zumeist auf ein Bonjour, ein Merci und ein Au revoir. Denn das Französisch der Kanalbootcrew ist einfach zu rudimentär, während das engagierte Schleusenfachpersonal in der Regel weder des Deutschen noch des Englischen mächtig ist.


Zeit sich darüber zu ärgern, in der Schule zu früh im Französisch-Unterricht aufgegeben zu haben, bleibt ohnehin kaum. Zu faszinierend ist das grandiose Landschaftskino entlang des Canal du Nivernais. Zudem finden sich immer wieder charmante Städtchen wie Clamency. Im Schatten der mächtigen St. Martinskirche ducken sich hier prachtvolle Fachwerkhäuser. Einen Kontrast dazu bildet die 1926 direkt am Ufer der Yonne errichtete Kirche Notre-Dame de Bethéem.


In Pousseaux wartet dann die nächste Überraschung, eine Hebebrücke, die von den Skippern selbst betätigt werden muss. Also, schnell mal anlanden, aussteigen, Knopf drücken. Sobald die Brücke geöffnet ist, heißt es wieder einsteigen, durch die Kanalenge hindurchfahren, wieder anlanden, noch mal aussteigen und die Brücke wieder schließen, bevor es weiter Richtung Mailly-le-Château mit dem hoch über dem Fluss auf einem Felsen thronenden Schloss geht.


Cravant lockt wenig später mit mittelalterlichem Charme. Zwischen den alten Stadttoren, ein paar windschiefen Fachwerkhäuser und verträumten Gassen drängen sich ein paar kleine Geschäfte, in den sich die Crew mit Lebensmitteln und Getränken eindecken kann.
Ob es an dem leckeren Bordwein lag oder daran, dass sie lieber weiter die Sonne bewacht hätte, lässt sich nicht abschätzen. Fakt ist, eine der Gallionsfiguren versenkt schließlich unfreiwillig fast das Boot in der Schleuse von Vincelles. Statt das beim Schleusen um den Pöller gelegte Seil – wie üblich – festzuhalten und dem geänderten Wasserspiegel anzupassen, hat die Sonnenanbeterin das Seil kurzerhand am Boot festgezurrt.

Der Autor
Ein fataler Fehler. Denn binnen kürzester Zeit hat die Caprice eine bedenkliche Schräglage; ist schiefer als der berühmte Turm von Pisa. Die ersten Gläser rutschen vom Tisch. Geistesgegenwärtig erfasst der Schleusenwärter die Situation, während sich an Bord Panik ausbreitet. Das Seil steht derart unter Spannung, dass der Knoten nicht mehr gelöst werden kann. Der Schleusenwärter rennt zum anderen Ende der Schleuse, öffnet deren Tore und lässt Wasser in das Becken laufen, bis das Boot wieder eine normale Position einnimmt.
Schnell geht es danach wieder durch ruhigeres Fahrwasser – begleitet von Kopfschütteln, Gelächter und Aufatmen angesichts des Schleusen-Fauxpas. Doch spätestens, als die 60 Meter hohen Kalkfelsen von Le Saussois in den Blick kommen, ist das unfreiwillige Abenteuer angesichts des Naturschauspiels in Vergessenheit geraten. Das Paradies für Klettermaxe bietet grandiose Panoramablicke auf das Flusstal der Yonne und den Canal du Nivernais.
Nach einer verträumten und unaufgeregten Landpartie kommt das Anlanden in Auxerre, der mit 38.000 Seelen größten Stadt der Region, fast einem Kulturschock gleich. Auf einmal gibt es Geschäfte, Restaurants und jede Menge Menschen. Dabei begeistert die Stadt an der Yonne durch uralte Fachwerkbauten, mächtige Kirchen und moderne Statuen im Schatten des Wahrzeichens, des berühmten Uhrenturms, dem Tour de l’Horloge.




Ab Auxerre geht die Fahrt dann vornehmlich direkt auf der Yonne weiter. Nur ab und an führt ein Kanalstück mit Schleusen um einzelne Staustufen herum. Der Fluss wird nun zunehmend breiter und die Schleusen größer. Sie bieten Platz für Frachtschiffe oder für bis zu zehn Hausboote gleichzeitig. Auch die Schleusenromantik geht ein Stück weit verloren. Denn die Tore schließen hier automatisch oder auf Knopfdruck. Und schwanzwedelnde Hunde begrüßen die Hausbootcrew hier auch nicht.

Abschließender Höhepunkt ist fraglos die Einfahrt nach Migennes. Dort wartet mit der handbetriebenen Ecluse de Laroche eine enge Schleuse mit fünf Meter hohen Wänden. Der Schleusenwärter lässt einen Haken herab, mit dem er das Seil nach oben zieht, um das Boot mit Hilfe der Pöller beim Schleusen zu sichern.
Als sich dann die Tore zum Canal du Bourgogne öffnen, ist der Zielhafen nicht mehr weit. Und damit die Gewissheit, dass nach 100 Kilometern auf dem Canal du Nivernais und der Yonne ein grandioses Flussabenteuer zu Ende geht.

Allgemeine Informationen: Bourgogne Tourisme, Telefon 033-(0)380-280280, www.bourgogne-tourisme.com
Canal du Nivernais: Der Kanal gilt als einer der landschaftlich schönsten Wasserwege Frankreichs. Er führt in weiten Teilen parallel zur Yonne durch Burgund und verbindet auf 174 Kilometern das Loire- mit dem Seinetal, wobei die Wasserstraße immer wieder abschnittsweise auch direkt über die Yonne verläuft. Weitere Informationen (auch in Deutsch) unter www.canal-du-nivernais.com.
Bootsverleih: Le Boat, c/o Crown Blue Line GmbH, Theodor-Heuss-Straße 53-63, 61118 Bad Vilbel, bietet eine siebentägige Tour mit einer Caprice auf dem Canal du Nivernais zwischen Tannay und Migennes (und umgekehrt) ab 1.287 Euro an. Buchungen und weitere Informationen unter Telefon 06101/5579112 oder unter www.leboat.de.
Hausboot: Die Capice ist nur eine von vielen Bootstypen, die am Canal du Nivernais gemietet und ohne Bootsführerschein gefahren werden können. Das Boot verfügt über sechs Schlafplätze, eine komplett ausgestatte Küche, zwei Bäder mit Duschen, eine Sitzecke im Salon sowie ein Sonnendeck.
Alle Fotos: © Karsten-Thilo Raab