Text und Fotos von Michael Scholten.
Der Eurovision Song Contest rückte Aserbaidschan 2012 ins Licht der Öffentlichkeit. Die Kritiker mahnten, die Ölnation missbrauche das Musikspektakel für Propaganda und trete Menschenrechte mit Füßen. Präsident Ilham Əliyev ließ davon unbeirrt die Hauptstadt Baku umkrempeln und modernste Prestige-Bauten aus Glas und Stahl errichten. Der wahre Charme der Metropole am Kaspischen Meer liegt jedoch weiterhin in ihrer schmucken Altstadt.
Stolze 60 Euro müssen deutsche Touristen für das Visum bezahlen. Meist wird es bei Ankunft am Flughafen von Baku ausgestellt, manchmal aber auch nicht. Das Auswärtige Amt rät deshalb, das Visum unbedingt vorab bei der Botschaft in Berlin einzuholen. Zufriedene Touristen sind nicht das Hauptziel der Republik Aserbaidschan, die von Ölmilliardären regiert wird und sich seit zwei Jahrzehnten einen teuren und verlustreichen Konflikt mit Armenien um Bergkarabach leistet.
Die meisten Hotels in Baku sind auf Dienstreisende ausgerichtet, was sie für Touristen unattraktiv und für Backpacker unerschwinglich macht. Die wenigen Gästehäuser genügen kaum westlichen Standards. Doch wer sich mit deren Schlafsälen oder oft sperrmüllartiger Möblierung arrangiert, kann die überraschend moderne und mondäne Hauptstadt auch erschwinglich erleben.
Die Altstadt wird von einem Ring aus Mauern und Wehrtürmen umschlossen. Sie stammen zum Teil noch aus persischen Gründertagen im elften Jahrhundert, wurden aber nach der russischen Eroberung im Jahr 1806 weiter verstärkt. Das malerische Viertel, das die UNESCO im Jahr 2000 zum Weltkulturerbe erklärte, ist ein Labyrinth aus engen Straßen und alten Häusern mit überhängenen Holzbalkonen.

Ein Wahrzeichen ist der Jungfrauenturm aus dem elften Jahrhundert. Über den Zweck des 29 Meter hohen Bauwerks streiten sich die Historiker. Die einen meinen, er diente der Verteidigung. Die anderen sehen ihn als Observatorium für Astronomen. Am liebsten aber erzählt man sich in Baku folgende Geschichte: Ein reicher Herrscher liebte seine eigene Tochter so sehr, dass er sie heiraten wollte. In ihrer Verzweiflung bat sie den Vater, ihr einen Turm zu bauen, von dem aus sie die ganze Weite seines Reichs überblicken konnte. Der Vater baute den Turm, die Tochter rannte die Treppen hinauf und stürzte sich in den Tod.


Die achte Etage dient heute als Aussichtsplattform für Besucher. Der Ausblick ist optimal und allumfassend: das Kaspische Meer, die viele Kilometer lange Uferpromenade „Bulvar“, die verwinkelte Altstadt, das prächtige Gründerzeitviertel, dessen Jugendstilpaläste mit Beginn des Ölbooms im späten 19. Jahrhundert errichtet wurden, und das moderne Baku mit seinen zum Teil extravaganten Hochhäusern.
Aserbaidschans Reichtum ist ungerecht verteilt. Die Hälfte der acht Millionen Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze, während die Oberschicht ihr Ölgeld in Traumvillen und deutsche Luxuswagen investiert. Aserbaidschan fördert täglich circa 75 Millionen Liter Erdöl und exportiert sie durch eine Pipeline via Georgien in die türkische Hafenstadt Ceyhan. Die Profiteure des Erdölexports sind milliardenschwere Familienclans, die fast alle in der Regierung sitzen. So auch Präsident Ilham Əliyev, der 2003 das Amt einfach von seinem Vater Heydər Əliyev übernahm.
Wer auf James Bonds Spuren wandeln will, sollte die Bibi-Heybet-Ölfelder besuchen. 1999 wurde hier das 007-Abenteuer „Die Welt ist nicht genug“ gedreht und Pierce Brosnan raste mit seinem BMW durch die unwirtliche Landschaft mit ihren vielen tausend Metallpumpen, die sich wie Körner pickende Hühner auf und ab bewegen und unentwegt Öl fördern. 1848 erfolgte in Baku und nicht etwa in Texas oder Saudi-Arabien die erste Ölbohrung der Welt. Die Förderung des schwarzen Golds im großen Stil begann 1873, als Robert Nobel, ein Bruder des Dynamit-Entwicklers Alfred Nobel, in Baku die Nobel Brothers Petroleum Producing Company gründete.

Die Firma wurde schnell das weltweit führende Unternehmen und brachte Geld im Überfluss.
Die Ölfelder von Baku waren die größten der Welt, überholten schnell die Fördermengen der US-Konkurrenz und deckten im Zweiten Weltkrieg drei Viertel des gesamten sowjetischen Ölbedarfs. Kein Wunder, dass Adolf Hitler das Gebiet einnehmen wollte. Doch die deutschen Truppen kamen nicht über Stalingrad hinaus.
Heute werden die Förderpumpen systematisch abgebaut. Seit Jahren sind immer mehr Landstriche leergepumpt. Jetzt säumen Bohrinseln die Küste entlang des Kaspischen Meeres. So haben etwa die Badegäste am beliebten Sicov Strand stets die Bohrinseln im Blick, wärend sie im weißen Sand Picknicken oder im Meer schwimmen.

Obwohl Aserbaidschan ein islamisches Land ist, kleiden sich die Frauen am Strand freizügig statt verschleiert. Der lockere Umgang mit der Religion liegt auch daran, dass die meisten Aserbaidschaner während der Sowjetherrschaft säkularisiert wurden. Nur noch zehn Prozent von ihnen sind heute regelmäßig praktizierende Muslime. Bikinis sind kein Problem, Alkohol erst recht nicht. Und so ist Baku auch für sein pulsierendes Nachtleben bekannt. Der „Lonely Planet“ sieht Baku mit seinen Clubs und Bars sogar in der Top Ten der weltweit besten Ziele für städtisches Nachtleben. Doch auch wer die oft von Rauchern verqualmten Locations meidet, kommt nachts im Freien auf seine Kosten. Viele Straßenzüge der Hauptstadt glänzen nach Sonnenuntergang wie Gold, da die Fassaden von abertausend Scheinwerfern angestrahlt werden. In einem Land, dessen Rückgrat Öl und Erdgas sind, muss sich wahrlich niemand Sorgen über die nächste Stromrechnung machen.


Alle Fotos: © Michael Scholten